Die Kunst der Verstellung

von Christoph B. Ströhle
REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER, 21.11.2016 


Reutlinger Theater - »Adieu, Herr Minister« von Jordi Galceran hatte an der Tonne Premiere. Boulevard-Stück mit vielen Wendungen

 

REUTLINGEN. »Meine Ex kriegt nichts«, freut sich Thomas B. Hoffmann als Carsten Lusch in Jordi Galcerans Komödie »Adieu, Herr Minister«. Allzu sehr wird der Politiker seinen Triumph nicht mehr genießen können, denn es droht Ungemach – einmal mehr in diesem Stück, das etliche 180-Grad-Wendungen für die Figuren bereithält.

 

Und natürlich fürs Publikum, das in der zweiten Hälfte den Braten riecht und seine Vermutungen anstellt. Oder sich zurücklehnt und die Boulevardkomödie genießt, die sich zunehmend ihres gesellschaftskritischen Anspruchs entledigt und nur noch eines will – unterhalten. Der Applaus nach der Premiere am Freitag in der Planie 22 war groß, wenn auch nicht euphorisch.

 

Bis auf Robert Atzlinger konnte man alle Darsteller bereits vor einem Jahr in Woody Allens »Mittsommernachts-Sexkomödie« sehen, ebenfalls fürs Reutlinger Theater Die Tonne inszeniert von Karin Eppler.

 

Wunderbar durchgeknallte Charaktere wie bei Allen finden sich auch in Galcerans Stück, die Figuren sind anfangs ähnlich liebevoll-ironisch gezeichnet. Und auch ein feines Gespür für verborgene Begierden offenbart der 1964 in Barcelona geborene Autor. An die Leichtigkeit und rhetorische Finesse eines Woody Allen aber reicht er nicht ganz heran.

 

Ein Häuflein Elend

Es wird viel mit Pistolen gefuchtelt in dieser Komödie, mal gegen die eigene Person, mal gegen andere gerichtet. Letztlich kommt die ausgeübte Gewalt dann doch ein wenig subtiler daher.

 

Es beginnt mit einem Minister, dem durch einen Skandal sein liebstes Spielzeug, das Mitmischen in der Politik, abhanden gekommen ist. Wie Thomas B. Hoffmann ihn eingangs spielt, ist er nur noch ein Häuflein Elend, das sich allerdings erstaunlich schnell berappelt, als eine Frau von den Gaswerken und eine scheinbar durchgeknallte Prostituierte in sein Leben treten. Martina Guse und Chrysi Taoussanis sind in diesen Rollen zu sehen und spitzen sie, ähnlich den übrigen Darstellern, pointiert zu.

 

Die von Vesna Hiltmann passend zum Gesellschaftsklima sachlich-unterkühlt gestaltete Bühne konzentriert sich auf den einzigen Schauplatz, das Wohnzimmer in Carsten Luschs Villa. Die Schauspieler – und das sind sie in mehrfacher Hinsicht – wissen den fast fensterlosen Raum turbulent mit Leben zu füllen. Sie switchen zwischen Masken und Rollen, dass einem schwindelig wird. Gleichzeitig bewahrt sich der Plot eine fast schlicht zu nennende Klarheit.

 

Thomas Klees darf als schlaganfallgeschädigter Vater der Frau von den Gaswerken (nennen wir ihn mal so) weit mehr als nur Grimassen schneiden. Er hat den Lazarus und auch so manches andere drauf. Robert Atzlinger, auch für die ansprechende und gut integrierte Musik verantwortlich, gibt die kompromisslose Gangstertype, mit der nicht zu spaßen ist.

 

Thomas B. Hoffmann darf naiv und, wie er glaubt, raffiniert sein. Gut getroffen ist der Politikersprech, in den er verfällt, sobald er als geschasster Minister wieder Oberwasser verspürt. »Der Wähler muss begreifen -« fängt einer seiner selbstentlarvenden Sprüche an. Ein anderer lautet: »Alter und Inklusion – das macht sich gut.« Gemeint ist das Sammeln von Imagepunkten, indem man den gebrechlichen Vater, dem es dank Unterstützung doch gut geht, für seine Kampagne einspannt. Schön sind die Video-Einspieler (Film/Schnitt: Sandra Omlor), die den Polit-Profi in medialer Inszenierung im Stadtbild von Reutlingen zeigen.

 

Am Ende gilt: Man wird gut unterhalten, vor allem durch die schwungvoll und virtuos durchdeklinierte Kunst der Verstellung.

 

 

Die zerstörte Heimat

von Kathrin Kipp
REUTLINGER NACHRICHTEN, 22.11.2016


Wenn Betrüger betrogen werden. Karin Eppler inszeniert die Polit-Satire-Krimi-Komödie »Adieu, Herr Minister« über die Gemeinsamkeiten von Politikern und Kriminellen.

 

In diesem Stück des katalanischen Autors treffen schon am Anfang Not und Elend aufeinander: Carsten Lusch war bis vor kurzem noch Energieminister, musste aber wegen eines Korruptionsskandals abtreten.Jetzt ist er sehr sehr einsam.

 

Hausiererin Sonja Trappe wiederum muss einen gewalttätigen und arbeitsscheuen Mann sowie ihren pflegebedürftigen Vater zuhause versorgen. Gerade als Lusch sich die Kugel geben will, kreuzt sie bei ihm auf, um ihre Gasflammenschutzkappen anzupreisen. Es kommt zum Austausch von Selbstmitleidigkeiten.

 

Des Weiteren tauchen auf: eine Edelprostituierte, ein Berufskiller, der Papa im Rollstuhl. Und wie das in einer Krimi-Komödie so ist: Nichts ist so, wie es scheint, jeder gaukelt jedem was vor, jeder will jeden übers Ohr hauen. Irgendwann werden Pistolen gezückt, und es geht um Leben und Tod. Und Liebe. Und Geld.

 

Das neueste Theaterstück des katalanischen Autors Jordi Galceran ist eine Mischung aus Politsatire, Krimi, Intrigantenstadl, Betrugs- und Täuschungsklamotte und Sittengemälde. Mit einer schlichten Botschaft: Man weiß nicht genau, wo die größeren Verbrecher und Blender unterwegs sind – in der Politik oder in kriminellen Kreisen. Von der Wirtschafts-, Journalisten- oder Juristenbranche mal ganz abgesehen.

 

Regisseurin Karin Eppler verpflanzt das spanische Boulevardstück problemlos in unser sauberes Ländle und spickt es mit lokalkolorierten Gags und Videos. Allerdings nimmt die Komödie einen sehr langen Anlauf, bis sie in Schwung kommt und zu ihren tricky Kurven und Wendungen ansetzt. Oder ist das Ensemble noch nicht so richtig eingespielt?

 

Filmische Einspieler

Jedenfalls fehlt es anfangs ein wenig an Tempo und Flow. Kann aber auch an den etwas unspritzigen Dialogen liegen. Catchy sind aber auf jeden Fall die filmischen Einspieler (Dreh und Schnitt: Sandra Omlor): Thomas B. Hoffmann fährt darin als Voll­blutpolitiker mit Skandal und seinem »Anwalt« am Hacken (Thomas Lambeck, Vorsitzender des Tonne-Theater-Vereins und im echten Leben ebenfalls Rechtsanwalt) immer wieder und ganz in echt durch Reutlingen: Wahlkämpferisch posiert er auf dem Marktplatz, hält enthusiastische Reden im Rathaus, eilt wichtig-wichtig durch Gericht oder Polizei – immer auf der Flucht vor den sensationsgierigen Medien.

 

Später schlendert er mit seiner neuen Frau durch eine Rathaus-Ausstellung. Eine tolle Regie-Idee. Thomas B. Hoffmann wirkt dabei ganz authentisch und sieht auch noch ein bisschen aus wie Obama auf seiner Abschiedstournee. Privat verfällt sein Carsten Lusch zwar immer wieder in den typischen Politikersprech, ist aber ansonsten ganz menschlich. Beziehungsweise männlich: schwerst wehleidig und aus Hang zum Pathos und Drama immer eine Knarre griffbereit. Aufgrund seiner frisch entflammten Leidenschaft ist er extremst anfällig für die Tricks und Täuschungsmanöver der anderen Kriminellen.

 

Im Gegenzug für ein paar staatliche Aufträge kam er recht günstig an ein Energiesparhaus. Ausstatterin Vesna Hiltmann hat es für die Planie-Bühne gestaltet: hohe, kahle Wände, moderne Einrichtung und viel Sicherheits­technik. Die hilft natürlich nichts, wenn man dem Verbrechen eigenhändig die Tür öffnet. Andererseits: darf man Menschen, die es mit der Ehrlichkeit und den Gesetzen nicht ganz so eng sehen, ebenfalls ausnehmen wie eine Weihnachtsgans? Oder geht dann global die Moral flöten?

 

Martina Guse spielt die undurchschaubare Sonja, die sich zwar todesmutig vor den Minister wirft, als eine Pistole auf ihn zielt, aber alles andere als ein frommes Lieschen ist. Chrysi Taoussanis wiederum zeigt sich als kesse Edelprostituierte recht wehrhaft: Kaum sind ein paar provozierende Worte gewechselt, werden auch schon die Waffen gezückt. Ja kann man selbst nicht mehr den Prostituierten trauen? Oder den Pflegefällen?

 

Gauner aus Leidenschaft

Thomas Klees als Sonjas Vater Max markiert den Opa im Endstadium. Er sitzt im Rollstuhl, schaut recht debil aus der Wäsche, sabbert und ist unzufrieden mit seiner Rolle. Robert Atzlinger wiederum spielt den Marko: einen Gauner aus Leidenschaft, dem es als Killer aber ein klein wenig an Coolness fehlt. Vielleicht, weil er gar kein Killer ist?

 

Robert Atzlinger jedenfalls hat auch die (Gitarren-)Musik zum Stück komponiert und eingespielt. Und drischt im übrigen als Gauner die gleichen inhaltsleeren Phrasen von Verantwortung, Verlässlichkeit und Berufsethos wie der Politiker.

 

Aber in Zeiten von Online-Banking, Steuerparadiesen, Stiftungen und anderen virtuellen Geldverstecken ist es eben auch alles andere als einfach, als normaler Dieb ans Geld der Reichen zu kommen. Da muss man sich schon was einfallen lassen.

 

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