WARUM NICHT MIT BRAUT UND TANTE IN DEN KRIEG?

von Monique Cantré
REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER, 26.03.2012


REUTLINGEN. Fernando Arrabal, einer der Köpfe des absurden Theaters, hat schon gewusst, warum er seinem Stück »Picknick im Felde« nur 45 Minuten gab. Als knackige Farce wirft es ein Schlaglicht auf die Idiotie des Krieges, indem es in der grotesken Situation eines Elternbesuchs im Schützengraben zwei feindlichen Soldaten die Augen für ihre Fremdbestimmtheit öffnet, um am Schluss alle im Maschinengewehrfeuer ins Jenseits zu befördern.

In Andriy Kritenkos Inszenierung an der Tonne wird auf Grundlage von Arrabals Text eine mehr als doppelt so lange Aufführung mit dem Titel »Ausflug an die Front«. Diese nimmt mit wunderbaren Darstellern - darunter auch neue Gesichter - und bezwingenden szenischen Ideen für sich ein, ist aber streckenweise recht zäh, wobei sich offenbart, dass die Stückidee eine so lange Handlung nicht trägt. Sobald man nämlich den Inhalt genauer hinterfragen will, verlieren die Figuren ihre subversive Kraft.

Ausstatterin Natascha Korabelnikowa hat in die Planie 22 braune, bewegliche »Erd«-Elemente zu einem Schlachtfeld-Ausschnitt zusammengeschoben. Dahinter ist eine gemalte spanische Landschaft mit Pferden und Windmühle zu sehen, auf die in der letzten Szene ein Maschinengewehrfeuer niederprasselt. Ein Trompetensignal ruft die Besucher zum Einlass. Der Trompeter (David Jetter) sitzt auf der Empore und trägt Engelsflügel, ebenso wie der Sanitäter (Bahattin Güngör), der später daherschlendert, um die Toten aufzulesen - und in den Himmel mitzunehmen.

Es ist Krieg, im Gefechtsstand wartet ein gelangweilter Soldat und rezitiert auf Schweizerdeutsch die Wallishymne: »Wo himmelhoch die Berge stehn...« Da stürzt ihn das überraschende Eintreffen seiner Eltern in Panik: »Hier ist es wahnsinnig gefährlich«, schreit er sie an. »Man kann nicht einfach in den Krieg hineinspazieren, wenn man kein Soldat ist!«, setzt er nach. Andreas Ricci, ein Schauspielschüler, den sein Stuttgarter Dozent Kritenko mitgebracht hat, kann als Zapo vom ersten Moment an fesseln, so authentisch wirkt er in seiner unterschwellig komischen Natur.

SLAPSTICK IN UNIFORM
Seinen unvermittelt auftauchenden Feind Zepo spielt - ebenfalls hervorragend - Felix Frenken, der in österreichischer Mundart die Einfalt dieses Landsers entlarvt, der seine Braut ins Feld mitnehmen wollte oder wenigstens seine Tante, die doch so leckere Nachspeisen kocht. Zapo und Zepo sorgen dann für allerlei Slapstick und parodieren militärische Vorschriften beim Gefangennehmen. Je mehr man sie auslacht, umso fragwürdiger wird dies jedoch. Denn sie sind ja tatsächlich die Dummen im Krieg.

Zapos Mama in Gestalt von Yvonne Lachmann spricht englisch und badisch und ist mitunter irre hysterisch. Sein Papa (Felix Kama) kommt aus Kamerun und kann auch deutsch und französisch, trägt eine Nachtsichtbrille und kann sehenswert eine gravitätische Selbstzufriedenheit an den Tag legen. Die beiden verteilen das Picknick, tanzen Pasodoble und schauen verzückt den Bombern beim Bomben zu.

Mit »M«, gespielt von Chrysi Taoussanis, hat Kritenko eine zusätzliche Figur eingeführt, die ständig präsent ist und undurchsichtige Aufgaben erfüllt. Hilfreich ist ihre Funktion als Dolmetscherin, wenn nicht deutsch parliert wird. Aber ständig scheint sie über Telefon auch mit irgendeiner höchsten Stelle in Verbindung zu stehen und Unheil auszustrahlen. Die angebliche Erotik schneidiger Offiziere ist bei ihr ihn Kostüm und Körperspiel übersetzt. Von hier geht Gefahr aus!

 

 

KRIEG IST SCHWACHSINN

von Kathrin Kipp
REUTLINGER NACHRICHTEN, 26.03.2012


REUTLINGEN. In Andriy Kritenkos Tonne-Premiere »Ausflug an die Front« muss der Zuschauer mit so einigem rechnen, insbesondere einer babylonischen Mischung aus Kriegsklamotte, Groteske und Stellungsspiel.

Zapo ist Soldat im Krieg: Von fern ist zwar die Trompete zu hören, er selbst weiß aber nicht recht, wann der Kampf weiter geht und in welche Richtung er schießen soll. Er fühlt sich einsam, ihm ist langweilig, und er hat Angst. Plötzlich tauchen seine Eltern auf: Sonntagsausflug an die Front, Picknick im Schützengraben, schauen, wies dem Sohn so geht. Und nette Leute kennen lernen. Tatsächlich kreuzt nach einer Weile auch schon der Feind auf - Zepo, der genauso orientierungslos ist wie Zapo. Die Familie nimmt ihn in die Zange. Weil es sich in Fesseln aber schlecht picknicken lässt, wird er befreit: »Fühlen Sie sich ganz wie zu Hause.« Sie tanzen, schießen Erinnerungsfotos, stellen viele Gemeinsamkeiten fest und trinken Schampus auf die Harmonie. Bis plötzlich ein MG-Feuerwerk die Frontidylle aufs Grausamste zerstört.

Die Antikriegssatire - frei nach Fernando Arrabals »Picknick im Felde« - stellt das Absurde am Krieg dadurch zur Schau, dass sie das familiär Idyll und Spießigkeit direkt mit der Grausamkeit des Krieges konterkariert. Die schlichte Botschaft lautet: Krieg ist absurd, Propaganda ist Lüge. Die Jungs wissen nicht, was sie tun, und man opfert sie für irgendwelche übergeordneten Interessen. Auf dem Schlachtfeld jemanden abzuschießen, gegen den man eigentlich gar nichts hat, ist absoluter Schwachsinn. Erzählt wird das Ganze in einem recht drastisch aberwitzigen Setting.

Im Krieg und im Theater wiederum sind alle Mittel erlaubt, und Andriy Kritenko traut der kurzen Originalvorlage vielleicht nicht allzu viel zu, oder aber hatte einfach Lust, das Stück tatkräftig zu modifizieren. Jedenfalls hat er es für die Tonne mit sehr vielen Pausen, Zeitlupe und Leerlauf, choreografischen Effekten, (Kinder-)Liedern, Stellungsspielen, Pantomime und Spiegelbildern gestreckt: Wenig Text, viel Spiel. Damit steckt er den Teufel ins Detail, aus nicht immer nachvollziehbaren Gründen, aber der Krieg an sich ist ja schon verrückt. Kritenko setzt außerdem den Fokus auf das Universale des Krieges, und zwar mit dem Einsatz diverser Sprachen und Dialekte. Damit verortet er sein Stück: direkt nach Babylon. Und er hat eine neue Figur hineinmontiert, namens »M« (Chrysi Tauossanis): eine allgegenwärtige Instanz, die alles Fremdsprachige übersetzt, die Leute zum Einsatz schiebt, eine Trauerpolonaise organisiert und ebenso unerklärlich bleibt wie der Krieg.

Bühnenbildnerin Natascha Korabelnikowa hat einen Schützengraben aufgestellt, dahinter einen klassischen Theaterprospekt mit Pferden, Mühle, Dorf: ein Idylle, das nur darauf wartet, zerstört zu werden. Das Ensemble agiert betont künstlich, vollführt seltsame Bewegungen, so dass sich eine recht artifizielle Mischung aus Puppenaufführung, Militärklamotte, Nonsens und Kindergartenspiel ergibt. Andreas Ricci ist als Zapo ein ängstlicher und trotzdem unbedarfter und naiver Schweizer Krieger. Er zielt nicht beim Schießen und betet für jeden versehentlich erschossenen Feind ein Vaterunser. Lässt sich zu Siegerpose und Machtgehabe verführen, hat aber auch sein Outing als Strumpfhosenstricker. Sein Feind ist der Österreicher Zepo (Felix Frenken): gleiche Uniform, nur andere Farbe und auch sonst viele Gemeinsamkeiten. Die beiden wollen viel lieber Hände-Klatsch-Spielchen machen, als sich gegenseitig zu erschießen. Wozu auch? Zepo ist ein äußerst höflicher Mensch, aber auch ein wenig wehleidig. Als man ihn nach den näheren Umständen des Krieges fragt, hat er keine Ahnung: »I woiß net, i bin net so gebildet.«

Zapos Vater (Felix Kama) wiederum findet alles total aufregend und unterhaltsam und stellt ein breites Silvester-Grinsen zur Schau, als das Bombengeschwader über ihn hinwegfegt. Am liebsten würde er sich selbst ins Schlachtgetümmel stürzen. Für ihn ist alles nur ein Spiel. Seine Frau (Yvonne Lachmann) ist ebenfalls sehr unternehmungslustig, legt Hand an beim Fesseln des Gefangenen, nimmt es aber auch im Krieg ganz genau mit den Hygiene- und Tischsitten. Den Bombenhagel wehrt sie mit dem Regenschirm ab. Soviel Sorglosigkeit kann sich natürlich rächen.

David Jetter und Bahattin Güngör wiederum sitzen auf der Empore und warten als Engelchen auf die verlorenen Seelen, als Sanitäter auf die Verletzten und als Geier auf die Toten.

 

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