Hommage an Charlie Chaplin
von Lena Aschauer
KRONE OBERÖSTERREICH, 26.06.2016
Eine choreografisch-szenische Begegnung beim Linzer sicht:wechsel Festival
Charlie Chaplin - Einer der ganz Großen im Showbusiness - wurde mit dem Stück »Charlie« beim Linzer sicht:wechsel-Festival gefeiert. Die liebevoll gestaltete Theaterproduktion traf in die Herzen der Zuseher: Ganz großartige Menschen zeigten selbstbewusst was sie können, und hatten dabei eine Riesenportion Spaß.
Wer war Charlie Chaplin, was konnte er am besten und wie hießen seine Prinzipien und Leitsprüche? Mit diesen Fragen beschäftigte sich das Team des Stückes »Charlie« auf überzeugende und transparente Weise und vor allem mit vielfältigen Methoden: da wurde gesprochen, gemimt, musiziert, getanzt und auch gesungen. All das vermischte das Theater Reutlingen Die Tonne in Kooperation mit BAFF, der Fakultät für Sonderpädagogik der Hochschule Ludwigsburg, 60 Minuten lang mit ganz viel Humor, Pfiff, Charme und Motivation!
In diesem Stück durfte jeder Darsteller seinen ganz persönlichen Platz finden, hier wurde eine beeindruckende und stärkenorientierte Arbeit geleistet - jeder konnte sich von seiner individuellen und vor allem besten Seite zeigen! Diese zahlreichen Unterschiede führten unter der Regie von Enrico Urbanek zu einem tollen und runden Gesamtergebnnis, bei dem sich manche Darsteller vor allem beim Applaus vor lauter Freude kaum noch halten konnten!
Bei soviel Ehrlichkeit und Authentizität ließen auch die Standing-Ovations inklusive Publikums-Gänsehaut im Ursulinensaal des OÖ Kulturquartier nicht lange auf sich warten.
Der Super-Charlie
von Matthias Reichert
SCHWÄBISCHES TAGBLATT, 02.05.2015
Gefeierte Premiere des integrativen Chaplin-Abends an der Tonne Ein rührender Tanz durch die Kinogeschichte: Am Reutlinger Tonne-Theater wurde am Donnerstag die integrative Produktion »Charlie« über Chaplin aufgeführt. Handicaps spielen hier keine Rolle.
Am Anfang lupfen sie mit Stöckchen den Vorhang von hinten ein Stück und werfen viele Chaplin-Hütchen auf die Bühne. Großer Auftritt für Bahattin Güngör, der vorne mit den Hüten tanzt und in einer Pantomime ausprobiert, wozu das Stöckchen alles gut ist: schießen, schlagen, angeln, Tennis spielen, Gewichtheben. Dann öffnet sich der Vorhang. Die Zuschauer sehen eine Kintopp-Leinwand von anno dunnemals mit Lämpchen ringsum. Die Akteurinnnen und Akteure posieren zum Gruppenbild in Chaplin-Klamotten. Ausstatterin Ilona Lenk hat sich für die Kostüme auch von der Stummfilm-Kultserie »Die Kleinen Strolche« inspirieren lassen.
Michael Schneider gibt per Lautsprecher Regieanweisungen: »Umbau auf die Massenszene«. Klappe die erste: eine Wahrsagerin legt die Karten, eine Schuhputzerin schenkt dem Vagabund einen Apfel, den umgehend zwei Polizisten beschlagnahmen. Und ein Grobian verpasst dem Helden einen Tritt, dass er nach vorne purzelt. Der Abend ist ein Wiedersehen mit den bekannten Figuren aus Chaplins Stummfilmklassikern. Die Wahrsagerin hatte ihm einst prophezeit, er werde mit 82 sterben. Und der Legende nach brachte der Meister der Komik selbst den Tod zum Lachen, der ihn daraufhin noch sechs Jahre lang verschonte.
Diese Legende greifen sie in der Reutlinger Hommage an Chaplin auf. Seyyah Inal spielt den knurrigen Tod, Manuela Fenske mimt brillant den Chaplin. Ein herzerwärmendes Finale im blendenden Scheinwerfer-Spot, ehe alle am Klavier nach Herzenslust ein rührendes Abschiedslied intonieren.
Doch zuvor dürfen alle mal ran. Im gemeinsamen Ballett schwingen sie die Stöckchen und balancieren die Hüte darauf. Phänomenal, was der australische Choreograf David Williams mit dem spielfreudigen Ensemble alles anstellt. Die Stummfilm-Musik kommt von Schneider und dem Klangkünstler Bernd Wegener. Schneider spielt Akkordeon, Geige, Banjo – und Wegener alles, was Rhythmus machen kann, und sei es auch nur knisterndes Papier.
Mit Bombast-Musik und Kunstnebel hat der Bechsteinflügel, den das Reutlinger Theater von der Volkshochschule geschenkt bekommen hat, seinen großen Auftritt. Schnaufend schieben sie ihn herein – und dann wird das teure Stück liebevoll demontiert. Während Schneider in die Tasten greift, lässt Wegener allerlei Gegenstände ins Saitenwerk kullern, was zunächst drollige Klangeffekte zeitigt, bis der Flügel am Ende hemmungslos scheppert. Inal singt währenddessen seelenruhig mit schönstem Bass und lässt sich vom Slapstick der Klangkünstler überhaupt nicht stören.
Überhaupt dürfen hier alle ihre Stärken ausspielen. Die Tonne sucht den Super-Charlie – einige steppen, Stephan Wiedwald dreht sich und muss mit dem Hintern wackeln, die »Drei von der Tanzstelle« kriegen einen Handkuss vom Meister, »Luna« weint, lächelt und spricht auf Kommando eine innige Liebeserklärung aus. Auch »Moderne Zeiten« kommt zu Ehren, der Film über die monotone industrielle Arbeitswelt. Lauter Tramps, stehen sie da in Reih´ und Glied und führen die immer gleichen Handgriffe aus. Bis die Maschine streikt und alle Warnlämpchen gelb aufblinken. Der Globus mit dem Chaplin in »Der große Diktator« tanzt, wird in einer weiteren Szene zumindest einmal aufgepustet. Auf der Leinwand sind Sinnsprüche eingeblendet: »Tränen, die du lachst, musst du nicht mehr weinen« – passend zum rührenden Tanz durch die Kinogeschichte.
Unterm Strich
Die Tonne sucht den Super-Charlie - und alle 15 Akteurinnen und Akteure sind die Gewinner. es ist immer wieder ein Erlebnis, wie es Regisseur und Intendant Enrico Urbanek bei der integrativen Theaterproduktion gelingt, die Stärke jedes Einzelnen im Ensemble herauszuarbeiten. »Charlie« ist ein Volltreffer - belohnt mit langem, trampelnden Applaus.
Im typischen Trippel-Modus
von Kathrin Kipp
REUTLINGER NACHRICHTEN, 02.05.2015
»Das Leben im Close Up ist eine Tragödie, in der Totalen eine Komödie«: Als Nummernrevue im Stummfilm-Modus präsentiert die Tonne in Enrico Urbaneks Regie eine poetisch bebilderte Hommage an Charlie Chaplin Wie im Kino starrt man gespannt auf den roten Vorhang, der da so unschuldig vor sich hinhängt. Bis allmählich klar wird: Der Vorhang lebt! Zumindest kann er tanzen. Gelupft wird er von einigen Chaplin-Stöcken, die erst ganz zaghaft, dann immer dreister unterm Vorhang hervorlugen und ihn in Bewegung setzen. Süß! Dann springen immer mehr Chaplinhüte aus dem Vorhang.
Bevor er höchstpersönlich auftritt: Bahattin Güngör, das Tanzwunder der Tonne, macht Jagd auf seinen Hut, der aber immer wieder davonspringt. Güngör hinterher - im typischen Chaplin-Trippel-Modus.
Für die Chaplin-Hommage wurde die Planie-Bühne von Ausstatterin Ilona Lenk als Stummfilm-Kino gestaltet: Im »Roxy« läuft heute eine Chaplin-Gedenk-Rolle aus berühmten Filmszenen, Zuschauerreaktionen, leibhaftigen Einspielern aus Charlies Biographie und bunten Chaplin-Assoziationen - alles leicht verfremdet, versteht sich. Im Hintergrund Einblendungen mit Zitaten des Großmeisters des traurigen Slapsticks. »Die Tränen, die du lachst, musst du nicht mehr weinen.«
An der Seite gruppiert sich das kleine Stummfilm-Orchester: Michael Schneider und Bernd Wegener untermalen die Szenerie geräuschvoll, lautmalerisch und klangexperimentierfreudig, während Bahattin Güngör ganz souverän seine Chaplin-Show abzieht.
Tänzelnd, stolpernd und hüpfend macht er mit Anzug, Melone, Stock und seinen ausgestellten Schuhen den legendären Vagabunden: arm, aber stilvoll, auch wenn er eine halbe Rolle rückwärts schlägt oder sich im Liegen verbeugt. Ansonsten schwingt er gerne mal den Golf-Stock, schießt imaginäre Tauben ab, angelt Fische, spielt Tennis, zeigt sich mit Geige als hoffnungsloser Romantiker oder heimst als Gewichtheber jede Menge Applaus ein. Aber Bahattin Güngör ist nicht nur solo cool. Kaum lässt er sich einen Schnurrbart anschminken, geht auch schon der Vorhang auf, und Charlie Chaplins Figurenarsenal kreuzt auf: Prostituierte, Bettler, Polizistinnen, Mafiosi. Wir befinden uns am Filmset. Cornelius Hoffmann-Kuhnt betätigt die Klappe, Michael Schneider koordiniert per Sprachrohr.
Manuela Fenske und Antje Rapp spielen die beiden Polizistinnen, die seinen letzten Apfel konfiszieren, den er von Alfhild Karle als Schuhputzerin ergattert hat.
Charlie guckt recht traurig, und denkt sich dann aber: ach, was soll's. Und so trifft Güngör genau den Ausdruck zwischen Komik und Tragik, die auch in Chaplins Hauptfigur als unbekümmerter, gutherziger, aber irgendwie auch trauriger Clown zum Ausdruck kommt.
Aber auch Chaplins Film-Publikum wird gezeigt. Alle SchauspielerInnen versammeln sich auf den Kinositzen, Bernd Wegener preist noch diverse »Süßis« an, als unter dickem Nebel und Brimborium der Flügel eingefahren wird und die Traumwelt beginnt: Heute gibt es mal Stummfilmmusik ohne Film, ein Soundtrack für das, was sich in den Zuschauerreihen alles so abspielt. Das Publikum entsprechend aufgeregt, ermüdet, begeistert und entgeistert. Und manchmal eben auch ganz schön schläfrig. Dann spielen Schneider, Wegener und Hoffmann-Kuhnt den Wandermusikzirkus, bevor Charlie seine berühmte Barbier-Szene zum Besten gibt, mit Seyyah Inal als Rasier-Opfer, das am Ende mit Spucke statt Rasierwasser eingerieben wird. Igitt!
Dafür spielt er seine Todeskarte aus: Seyyah Inal als Tod, mit dem Charlie Chaplin später immer wieder verhandeln muss. Eine Wahrsagerin hatte ihm vorhergesagt, dass er an Weihnachten sterben wird. Und so muss Chaplin im hohen Alter jedes Jahr aufs neue den Tod zum Lachen bringen.
Schafft er das, bekommt er noch ein weiteres Jahr geschenkt. Und was beim Tod am besten funktioniert, ist echte Schadenfreude. Da hilft kein gespieltes Stolpern, kein Slapstick, nur ein echter Hexenschuss. Seyyah Inal ist auch wieder als Sänger top in Form, während Güngör die legendäre Erdkugel des Diktators aufbläst.
Vieles wird optisch, musikalisch oder tanztheatralisch (Choreographie: David Williams) nur kurz zitiert, die Zuschauer müssen sich daraus ihren eigenen Chaplinfilm zusammenschneiden. Noch viele weitere so beeindruckende wie lustige Maschinen-, Stock- und Stepptanzszenen und Musiknummern folgen.
So richtig dicke Emotionen werden dabei allerdings nicht zugelassen, weil vieles sofort wieder verfremdet und gebrochen wird, auch die schöne Singnummer, die das traurige Happy End einleitet.