Das Sausen der Welt auf der Bühne
von Thomas Morawitzky
REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER, 13.06.2015
Theater - Das »tonnejugendforum« bringt PeterLichts »Das Sausen der Welt« auf die Bühne. Das Stück fordert seine Zuschauer, aber es unterhält sie auch
REUTLINGEN. Am Anfang waren vier weiße Blöcke. Sie schlossen die Menschheit ein. Die Menschheit trug weißes Hemd und schwarze Krawatte, sie stieg aus ihrem Schacht empor, begann grunzend und greinend nach Sprache zu suchen. Doch bald schon kam die Werbung, kam die Espressomaschine.
In »Das Sausen der Welt«, dem Wortkonzert, das Bachmannpreisträger PeterLicht für das Schauspiel Köln schrieb, ist die Welt Klang, frei und egalitär: Alles was ins Dasein drängt, will gehört werden. Aber das Sausen der Welt wird vergiftet vom Lärm, der Macht will: Geburt der Sprache aus dem Geiste des Konsums, in den Ohren ist es Krieg.
Zwei Jahre nach der Kölner Uraufführung hat sich das Reutlinger »tonnejungedform« des Textes angenommen, ein ganz eigenes Stück aus ihm heraus entwickelt.
Bei PeterLicht gibt es keine Regieanweisungen, keine Bemerkungen zum Bühnenbild – nichts als die Worte und die Bilder, die ihnen folgen. Im Oktober besprachen Regisseurin Sandra Omlor und ihre drei Darsteller Emre Batman, Jana Riedel und Leonard Schlüren erstmals ihr Vorhaben, diesen Text auf die Bühne zu bringen – seither entwickelten sie ein schlüssiges, sehr reduziertes, aber auch phantasievolles Konzept zu seiner Umsetzung.
»Das Sausen der Welt« ist in Reutlingen ebenso sehr Körpertheater, wie es Wortkonzert ist. Batman, Riedel und Schlüren agieren ihre Suche nach Sprache, ihre Vergewaltigung durch fremde Worte aus, sie verziehen die Gesichter, sie krümmen sich, sie klettern auf die vier weißen Blöcke, die die ganze Bühne sind.
Poetischer Lobgesang
Bevor sie fallen, verschoben und gestapelt werden, stehen diese Blöcke beieinander, schließen die Schauspieler ein: Ein Schacht, ein Grab, ein kalter weißer Kokon. Die Darsteller arbeiten sich aus ihnen heraus, sie bringen lange nur Laute hervor, spielen mit ihnen, reagieren mit starker Mimik auf sie.
Langsam kommt die Sprache ins Spiel, langsam beginnt PeterLichts vielschichtiger Text: Er ist Gedicht, ein poetischer Lobgesang auf die Welt der Klänge, ist Monolog, ein einsames Wandern und Suchen, ist Dialog, ein hysterisch zweideutiges Palaver aus Werbeversatzstücken: »Doch ‘n Espresso...? Echt du bist Jungfrau, hätt ich gar nicht gedacht...?«
Von der Decke hängen Kopfhörer, der Klang der Welt und der Werbung kommt von überall, Sprecherstimmen werden zugespielt. Die drei jungen Darsteller – sie sind zwischen 18 und 24 Jahre alt – spielen ihren Text sehr sicher und ausdrucksstark, die Szene, die Sandra Omlor für PeterLichts antikapitalistische Klage fand, ist einfach und überzeugend.
Rund 90 Minuten dauert dieses Stück – es fordert seine Zuschauer, aber es unterhält sie auch. Zuletzt schließen sich die vier weißen Blöcke wieder zusammen, die Schauspieler kriechen in ihren Schacht zurück, verlieren ihre Sprache, nur ein Finger hängt noch am Rand. Dann fallen die Blöcke auseinander, das Spiel ist zu Ende, der Applaus.
Und es ward Licht
von Matthias Reichert
SCHWÄBISCHES TAGBLATT - Regionale Kultur, 13.06.2015
Tonne-Jugendforum in zeitgenössischen Klang-Gefilden
REUTLINGEN. PeterLicht, der Mann ohne (Wort-)Abstand: In seinem 2013 uraufgeführten Stück »Das Sausen der Welt« übt der Kölner Konzeptkünstler Kritik an Konsum und Reizüberflutung. Schwere Kost für drei Nachwuchs-Akteure vom Tonne-Jugendforum - doch sie schlagen sich bravourös. Am Donnerstag war die Premiere in der nicht ganz ausverkauften Planie 22.
Bässe wummern, Schweinwerfer wandern über das Publikum, das wie in einer Arena rings um die Bühne sitzt. Minutenlang tut sich wenig. Man hört es pfeifen und schlurfen. In der Mitte stehen vier bewegliche Styropor-Quader, die zunächst einen Turm bilden, aus dem sich die drei Akteure mühsam emportasten.
Zunächst stammeln und stottern sie, sind kaum fähig, aus den poetischen Silben Worte zu bilden. Nichts ist schwerer, als Menschen mit Behinderung zu spielen, doch der Mut wird belohnt. Sie kriechen empor, betasten die Mikrofone, stammeln und schreien hinein. Schließlich dringen die Worte durch, klar und verständlich: »Gegrüßet das Sausen der Welt, die Höhe der Tiefe, das unfassbare Brummen der unteren Schichten.« Widerhall, der im Welttopf tönt - den Sinn dürfen sich die Zuschauer selbst erschließen.
Leonard Schlüren, Jana Riedel und Emre Batman sprechen präzise, schaffen in weißen Hemden, Krawatten und schwarzen Hosen den Spagat zwischen Konsumkritik und abstrakter Poesie. Tonne-Musikchef Michael Schneider hat einen Soundtrack gebastelt, in dem der Tinnitus der modernen Welt stampfend und dröhnend eingespielt wird. Und eine Art Konsum-Berieselung, in der zu säuselnder Gitarre perlende Softdrinks plätschern. Dazu gibt es reichlich Krisengerede, während sich die Mimen neue Burgen aus Styropor bauen und Kopfhörer und Lautsprecher von der Decke angeln.
Eine Stimme sagt immer wieder »OjeojeOjeojeOjeoje« und gibt Anweisungen, die Akteure antworten »OkayOkayOkayOkay« und sind nicht einverstanden. Es geht da um eine Kiste, die man besser zunagelt, in der Garage verschließt, das Auto davorstellt, die Luft aus den Reifen lässt und anschließend weit fortfährt, wie man sukzessive erfährt.
Dramaturgin Sandra Omlor inszeniert mit Lust am absurden Detail. Die Akteure streicheln sich mit den Mikrofonen über die Klamotten. »Klingelingeling« - nicht der Eiermann, sondern die Espressomaschine. Ein bisschen wie bei Monty Python, bieten sie sich gegenseitig Heißgetränke an, »zippzapp, einfach so«. In allen Tonlagen und Lautstärken. Das Publikum wird einbezogen, je nach Laune liebkost, geknuddelt, angeschrien oder artig mit Handschlag begrüßt. Batman gibt im Auditorium Bettgeschichten preis. Riedel kann sich nicht zwischen Espresso und Cappuccino entscheiden und mimt die Femme fatale wie mit zweieinhalb Promille Blutalkohol.
In Zuschauertaschen findet sich keine Sojamilch. Ein »Hut aus Scheiß« spielt auch eine Rolle in der absurden Collage. Batman trommelt zur Revolution, während Riedel Schokolade will und Schlüren »keine Angst« ruft. Jüngere Zuschauer schmeißen sich weg vor Lachen. Dann Stimmengewirr und Wummern. Man kann an einen Film von David Lynch denken bei dieser alptraumhaften Versuchsanordnung.
Am Ende kriechen sie wieder in ihre Styroporburg, während die Worte ihnen wie modrige Pilze in den Mündern zerfallen und unverständlich werden. Und alles beginnt von vorne.
Unterm Strich
OjeojeOjeojeOjeojeOjeojeOjeoje - OkayOkayOkayOkayOkayOkayOkayOkay: die eigenwilligen Wortgirlanden von PeterLicht sind zumindest gewöhnungsbedürftig. Den schauspielerischen Leistungen der drei Akteure vom Jugendforum und der ambitionierten Inszenierung tut das aber keinen Abbruch. Ein Kassenschlager dürfte das Stück freilich nicht werden.