Es kann nur eine geben

von Christoph B. Ströhle

REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER, 08.02.2020

 

Theater − Die Tonne zeigt mit »Dearest Sister« ein packendes Zwei-Königinnen-Drama als virtuoses Kammerspiel

 

REUTLINGEN. Als teuerste Schwester reden sie einander in ihren Briefen an, oft aber verbergen sich zwischen den Zeilen Machtdemonstrationen, Heuchelei und Gemeinheiten. Im Stück »Dearest Sister«, das das Theater die Tonne am Donnerstagabend im Tonnekeller uraufgeführt hat, bleibt keine Schwäche der anderen unentdeckt. Und wenn es im einen oder anderen Moment auch so scheint, als zögen Mary Stuart, Königin von Schottland, und Elizabeth Tudor, Königin von Engalnd, an einem Strang, so tun beide doch schwer daran, einander wirklich zu trauen und die durchaus vorhandene Einfühlung in die andere nicht als eigene Schwäche anzusehen.

 

Großcousinen sind sie in Wirklichkeit, nicht Schwestern, und beide erheben sie Anspruch auf den englischen Thron, Elizabeth lebt mit der Schmach, dass ihre Mutter dem Henkerbeil zum Opfer fiel und viele an der Legitimität ihrer Herrschaft zweifeln, Mary muss hilflos zusehen, wie sie ihren Titel Königin von Frankreich verliert und in Schottland in bürgerkriegsähnliche Zustände gerät.

 

Im finsteren Kerker

Immer wieder sieht sie sich in der Situation, Elizabeth um Hilfe bitten zu müssen. Wobei Elizabeth diese Hilfe oft vordergründig gewährt, um letztlich aber einen Verzicht Marys auf jeglichen Anspruch auf den englischen Thron durchzusetzen. Bei Mary beißt sie damit auf Granit. Sie verfügt zwar über keine Hausmacht, aber über einen starken Willen, der sie Elizabeth umso ähnlicher macht.

 

Chrysi Taoussanis verkörpert Mary Stuart als lebenshungrige Frau, die im Zweifel eher ihrem Herzen als dem kühlen Verstand folgt. Der wiederum, gepaart mit zunehmender Paranoia und Kontrollsucht, leistet Elizabeth, eindringlich gespielt von Stefanie Klimkait, wichtige Dienste, sichert ihr das Überleben im Haifischbecken der Macht. Sie ist nicht bereit, ihre Kraft und Macht durch eine Heirat zu schwächen, wie sie sagt. Und sie geht so weit, Mary ihren abgelegten Liebhaber Robert Dudley als Ehemann zu überlassen, um Kontrolle über die Schottenkönigin zu gewinnen. Umso wütender ist Elizabeth, als Mary, die zunächst Interesse an einer solchen Verbindung bekundet hat, einen anderen, Henry, Lord Darnley erwählt, der als Urenkel Heinrichs VII. mit guten Thronfolgeransprüchen Elizabeth gefährlich werden kann.

 

Elizabeth wird sich später bestätigt sehen, wird sagen, dass es richtig war, unverheiratet zu bleiben. An Mary sieht sie, wie viel Unheil aus einer Ehe unter Mächtigen und solchen, die nach Macht streben, erwachsen kann. Nicht nur der Ehemann hat sich zu diesem Zeitpunkt gegen Mary gewendet, auch ihre gemeinsamer Sohn Jakob, der spätere König von Schottland, England und Irland, geht zu ihr auf Distanz.

 

Immer wieder sieht man in dem Zwei-Königinnen-Drama, das Karin Eppler geschrieben und packend inszeniert hat, Elizabeth vor die Lords treten und ihre Stärke und Entschlossenheit signalisieren, Mary dagegen findet sich wiederholt in finsteren Kerkern wieder − und entkommt nicht nur einmal, indem sie ihre weiblichen Reize einsetzt.

 

Stolz und Argwohn

All das spielt sich auf engstem Raum − im sehr treffend gewählten Tonnekellergewölbe − ab. Die von Karin Eppler gestaltete Bühne dominiert ein ausgerollter roter Teppich, der, nach oben weitergeführt, auch die Bühnenrückwand bildet. Im wahren Leben lediglich in Briefen miteinander kommunizierend, spielen Mary und Elizabeth sich hier direkt oder indirekt an. Auch ein Aufeinandertreffen, das so nicht verbürgt ist, gibt es am Ende.

 

Stefanie Klimkait setzt Taoussanis` kraftvoller Mary eine virtuos intrigierende Elizabeth entgegen, die durch ihren Geheimdienst über jeden Schritt Marys informiert ist und die vor allem dann aus der Fassung gerät, wenn sie spürt, dass ihr die Kontrolle entgleitet.

 

Sibylle Schulze hat prächtige Kostüme entworfen, die in Marys Fall mit dem Schottenkaro und dem Weiß, das ihren Katholizismus widerspiegelt, spielen. Elizabeths Stolz und Argwohn unterstreicht in der zweiten Stückhälfte ein kettenhemdartiges Kostüm, das sie unnahbar wirken lässt.

 

Die großartigen Schauspielerinnen machen das 95 Minuten währende Kammerspiel zum packenden Erlebnis, das lange nachwirkt. Dazu trägt auch die Musik von Michael Schneider bei, die mal festlich pompös, dringlich pochend oder Gewissheiten zersetzend aus den Ecken dringt.

 

 

Herzlich böse Brieffreundinnen

von Peter Ertle

SCHWÄBISCHES TAGBLATT, 08.02.2020

 

Theater – Karin Epplers »Dearest Sister« im Tonnekeller blickt neu auf Elisabeth und Maria Stuart, lotet die Beziehung zwischen den Rivalinnen aus und tut dabei zu viel − glücklicherweise des Guten und nicht des Schlechten

 

Elisabeth und Maria Stuart − ihr Schicksal hat die Künstler animiert, von Schillers Drama bis zu Stefan Zweig. Nun hat sich Karin Eppler an den Stoff gewagt. Auch ihre Grundlage ist − wie bei Zweig − die Korrespondenz der beiden. Doch sie liest sie anders, nimmt die beiden Frauen ohne männerphantastische Projektionen in den Blick, schaut auf die Mechanismen der Macht, der gesellschaftlichen Konventionen, die Psychologie der Eifersucht.

 

Ihre Protagonistinnen versuchen einander auszustechen. Und erblicken doch auch jede das Eigene im Fremden, das Fremde im Eigenen. Wobei das die Frage ist: Sehen sie es zuweilen aufblitzen? Oder sieht es nur der Zuschauer?

 

Epplers Stück rollt mit großer historischer Detailversessenheit die gesamte Biographie der beiden auf. Die Stofffülle (weniger Fleißarbeit, mehr Mut zur Lücke und zu Akzentsetzung hätten gut getan) ist eine Herausforderung − die aber erstaunlich gemeistert wird. Der Konflikt hat einen schnell am Wickel. Wie geht das aus? Naja, man weiß es. Aber wie geht das hier weiter − bis es so ausgeht?

 

So unähnlich sind sich die beiden ja nicht: Heiratswillige aller Königreiche bewerben sich schriftlich. Ehemänner erweisen sich als Flaschen oder Intriganten − und kommen sehr verdächtig ums Leben. Beider Herzen verschenken sich an gut gehütete, allzubekannte Affären. Und dann gibt es die Konventionen der Thronfolge, die daraus ableitbaren Ansprüche, die unterschiedlichen Konfessionen, was alles mehr Macht über sie hat als dass man es nur auf schnödes Machtstreben herunterbrechen könnte − obwohl es das auch ist.

 

Der rote Faden dieses Abends ist die beständige Demaskierung der Brieftexte durch den hinzugefügten Subtext. Wobei: Die Texte demaskieren sich ja selbst. Karin Eppler tut da manchmal zu viel des nachgeschoben erklärend-Expliziten. Immerhin: Das ist geradlinig, ehrlich, ohne Mätzchen, Raunen, Künstlichkeiten. So wird auch gespielt. Auch mal schön naturalistisch schreiend, verzweifelnd − auf Seiten Marias. Und stets mit fein austariertem Mienenspiel und Ton, die das gesamte Inventar psychischer Zustände auf die Bühne bringen. Von der Regisseurin gut gesetzt, von den Schauspielerinnen Stefanie Klimkait (Elizabeth Tudor) und Chrysi Toaussanis (Mary Stuart) trefflich umgesetzt.

 

Michael Schneider hat dazu einen Soundtrack gebaut, der wie ein ins Elisabethanische transformierter Arvo Pärt das Stück gelegentlich sanft und unheimlich unterspült. Sibylle Schulze hat einen ganzen Reigen an Kostümen geschaffen, Elisabeth am Ende prachtvoll herrschaftlich im fein gemusterten Anthrazit, als wärs das schicke Businessdress im obersten Managementsegment. Nein, keine Modernisierung, aber dass diese Kleidung solche Assoziationen anstößt, also etwas anderes ist als der Kostümschinken eines Historienfilms (unten schauen bei beiden die Turnschuhe raus) ist hohe Kunst.

 

Die Bühne ist reduziert: Ein roter Teppich, der hinten nach oben gehend Rückwand und Paravent in einem ist, zwei graue Hocker, am Rand etwas Spielfläche mit Bänken, auf denen die Rivalinnen sich mal gehen lassen und mit ihren unsichtbaren Liebhabern schäkern können.

 

Richtig gut wird das Stück immer dann, wenn im Pingpong der Dialoge eine tragisch unauflösbare Verwicklung aufleuchtet oder eine unheimliche Ähnlichkeit der Rivalinnen, wenn sich Gefühlsambivalenzen auftun, die Motive und Haltungen der beiden kurz ins Schlingern geraten, sich der Zuschauer für Momente nicht mehr sicher ist.

 

Was dagegen auf Dauer qua Wiederholung etwas ermüdet, ist das leicht durchschaubare Spiel aus herzenswarm-fürsorglichen Worten und kalter, böser Absicht. Wäre das alles, wir könnten das Stück schnell abhaken. Wir können es nicht. Und das − ist gut so.

 

 

Politik und Theater

von Kathrin Kipp

REUTLINGER NACHRICHTEN, 12.02.2020

 

Karin Eppler entwickelt aus Briefen und Zweigs Maria-Stuart-Biografie »Dearest Sister«. Den Machtkampf mit Elisabeth I. inszeniert sie im Tonne-Kerker

 

Die britischen Inseln sorgen schon seit ewigen Zeiten für prickelnde Unterhaltung. Das spannende Königinnenduell zwischen Maria Stuart und Elisabeth Tudor hat nicht nur Schiller inspiriert, sondern auch Stefan Zweig, dessen Maria-Stuart-Biographie aus dem Jahr 1935 die Grundlage bildet für das Briefdrama »Dearest Sister« von Theatermacherin Karin Eppler, das nun am Reutlinger Theater Tonne uraufgeführt wurde.

 

Eppler versteht sich bestens auf die Dramatisierung legendärer Historien-Stoffe. »Frei nach den Briefen der Königinnen und Stefan Zweig« bringt sie nun einen intensiven Machtdialog auf die Bühne des Tonnekellers, der für die beiden Gegenspielerinnen zum Gefängnis ihrer Macht wird. Bühnenbildnerin Sibylle Schulze hat den beiden Queens den roten Teppich ausgerollt, auf dem Elisabeth I. von England (Stefanie Klimkait) immer wieder ihren schlichten Würfelthron besteigt und Reden schwingt. Unterlegt mit viel staatstragendem Hall von Musik- und Geräuschemeister Michael Schneider, der mit seinem Soundtrack dem wortreichen Fernduell die entsprechende Dramatik und Schärfe verleiht, mit historischen, sakralen, düsteren, lieblichen, feudalen oder bedrohlichen Klängen.

 

Zerbrechliches Machtgefüge

Da kommt es nicht nur akustisch schnell mal zum Krieg oder zur nächsten Überraschung. Ein einziger Brief, ein kurzer Satz kann dem komplexen Machtgefüge schon wieder eine neue Wendung geben. Und so wird in dem gut eineinhalbstündigen Stück unentwegt geschmeichelt, verhandelt, entschieden, intrigiert, koaliert, geliebt, gehasst, geheiratet, gekämpft und gemordet.

 

England gegen Schottland, Protestanten gegen Katholiken, Brüder gegen Schwestern, Männer gegen Frauen − beide Königinnen sind von unzähligen Faktoren abhängig und beide versuchen verzweifelt, ihre Macht möglichst langfristig zu erhalten: Mary Stuart über eine mehr oder weniger geschickte Heiratspolitik samt Thronfolgerproduktion, Elisabeth durch eiserne Ehe- und Kinderlosigkeit, um nicht etwa hausintern verdrängt zu werden.

 

So ging es schon damals bei den Royals drunter und drüber. Chrysi Taoussanis als stolze Maria Stuart will auf keinen Fall ihren Verzicht auf den englischen Thron erklären. Selbst in höchster Bedrängnis nicht und selbst, als sie schon 20 Jahre auf diversen englischen Schlössern gefangen gehalten wurde.

 

Stefanie Klimkait wiederum hat als Elisabeth mindestens genauso viel Angst vor Maria, wie sie versucht, die eiserne Lady zu spielen.

 

Karin Eppler lässt die beiden Duellantinnen auf verschiedenen Ebenen miteinander kommunizieren: Mal gibt man sich brieflich diplomatisch, mal ganz privat, und mal wird übereinander abgelästert. Dann wird wieder wild spekuliert, was die andere wohl vorhat. Wie die andere durchschauen, ohne etwas von sich selbst preiszugeben? Tatsächlich sind sich die beiden historischen Figuren wohl nie begegnet, und auch in der Tonne sprechen sie nur indirekt miteinander. Trotzdem sprüht es nur so vor gemeinsamer Präsenz und Energie.

 

Stefanie Klimkait und Chrysi Taoussanis geben zwei großartige Machthaberinnen ab. Macht, Stolz, Besserwisserei, Ehrgeiz, Hass, Harmoniebedürfnis, Angst und Unsicherheit dringt aus allen Poren. Klimkaits Elisabeth wechselt ständig ihre steife Robe und kann doch nicht alles kontrollieren oder fernsteuern. Taoussanis’ Mary Queen of Scots wechselt dafür ständig ihre Gefühlsfarben, ihre Selbstbehauptung geht sie weitaus temperamentvoller, emotionaler und lebensnaher als Elisabeth an, tappt dafür aber auch öfter in die Männerfalle. Beide hantieren mit allerlei Zetteln. Briefe, Verträge, Chroniken: Die Geschichte hat uns eine Zettelwirtschaft hinterlassen, aus der wir die Geschichten mehr oder weniger spekulativ rekonstruieren müssen.

 

Eppler lässt es daher auf der Bühne mächtig zetteln, flattern, zerreißen. Mit Geheimschriften und gefälschten Briefen werden Fallen gestellt, in den Kassettenbriefen sucht man Beweise. Politik ist ja immer auch Theater, es geht um Stimmungsmache, Täuschungsmanöver, Intrigen, Tricksereien, Provokationen und Zweckkoalitionen − Thüringen lässt grüßen. Beide Herrscherinnen schenken sich dabei nichts, und auch das Stück schlägt sich auf keine Seite. Ein intensives, beeindruckendes und selbstredend zeitloses Duell, nach dem man hinterher ganz erschlagen ist von so viel Macht.

 

 

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