Terrorbeglückung für alle

von Christoph B. Ströhle

REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER, 16.12.2013

 

 

THEATER - Laura Naumanns Farce »Demut vor deinen Taten Baby« mit famosen Darstellerinnen an der Tonne

 

REUTLINGEN. Man kann »Demut vor deinen Taten Baby« in einer Linie mit Friedrich Dürrenmatts »Die Physiker« sehen oder einfach nur als erfrischendes Stück, das die Gegenwart mit den Mitteln der Farce beschreibt. In der Reutlinger Tonne hat das Drei-Frauen-Stück, mit dem die 1989 in Leipzig geborene Autorin Laura Naumann derzeit die Theater im deutschsprachigen Raum aufmischt, am Samstag eine umjubelte Premiere hingelegt.

 

Die fantastischen Darstellerinnen – Astrid Köhler als Lore, Chrysi Taoussanis als Mia und Cornelia Werner als Bettie – wurden vom Publikum mit Applaus überschüttet. Das Stück selbst hinterlässt gemischte Gefühle, wirkt es streckenweise doch sehr überzogen. Barbara Herolds gewitzte und temporeiche Inszenierung sorgt für spannungsvolle und herrlich skurrile Momente. Dabei reichen drei Barhocker und stimmungsmalende Projektionen an die Wand des Tonne-Gewölbekellers, um Schauplätze im Dies- und Jenseits zu veranschaulichen.

 

Ein herrenloser Koffer löst Alarm aus, und während der Flughafen einer deutschen Stadt geräumt wird, sitzen Lore, Mia und Bettie, die sich gerade zum ersten Mal begegnet sind, hilflos auf dem Klo fest, machen in Todesangst die »Fucking Apokalypse« durch. Als sich alles als falscher Alarm herausstellt, sind die drei wie verwandelt.

 

Überstandener Schrecken

»Es riecht nach Frühling und Geburt«, stellt Bettie fest. Nie gekannte Glücksgefühle stellen sich ein. Der überstandene Schrecken hat sie zusammengeschweißt: Mia, die ihre Einsamkeit mit der Coolness eines Cowboys überspielt, mit Vorliebe den Revolver zückt und ihr weinendes Pferd zitiert; Bettie, deren Freund lieber Pornos schaut oder die Zeit mit Kumpels auf den Balearen verbringt als mit ihr; Lore, die gerade noch Europa den Rücken kehren wollte, weil sie einen Hass gegen alles Christlich-Moralisierende hat, besonders gegen ihre Mutter.

 

Glückstrunken heben sie die »Operation schönere Welt« aus der Taufe, wobei das Frauentrio bis an die Zähne bewaffnet mit fingierten Terroranschlägen Clubs, Krankenhäuser, Banken und Supermärkte überfällt, allein mit dem Ziel, auch andere in den Genuss zu bringen, gemeinsam dem Untergang ins Auge zu sehen. An Kunstblut und pathetischen Sterbeszenen (in Zeitlupe) wird nicht gespart. Auch finden die Aktivistinnen die Muße für ein martialisch-laszives Maschinengewehrballett zur Musik von Destiny’s Child (»I’m a survivor«). Spontanheilungen etwa im Krankenhaus sind die Folge.

 

In Fußballtrikots

Als sich die Regierung einschaltet, um aus der Terrorbeglückung Gewinn zu schlagen, nimmt das Verhängnis seinen Lauf. In Trikots der deutschen Fußballnationalmannschaft finden sich die Freundinnen auf WM-Rasen wieder und verstehen den Sinn ihrer Mission plötzlich selbst nicht mehr. Sprache, Spielwitz, Kostüme und Choreografie ergeben ein stimmig-schräges Gesamtbild. Dabei sind allein schon die famosen Darstellerinnen den Theaterbesuch wert.

 

 

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