Lebensweisheit vom Blutputzer
von Thomas Morawitzky
REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER, 20.1.2025
Bühne – Das Reutlinger Tonne-Theater zeigt vier Folgen der kultigen Fernsehserie »Der Tatortreiniger«
REUTLINGEN. »Der Tatortreiniger« war eine der Fernsehsensationen der jüngeren Zeit. Über sieben Staffeln und 31 Episoden hinweg brillierte Schauspieler Bjarne Mädel in der Comedy-Serie des NDR, von 2011 bis 2018. Seither taucht »Schotty«, der putzende Vollprofi mit der pragmatischen Einstellung und den schicksalhaften Begegnungen, immer wieder im Theater auf.
Nun ist er in der Reutlinger Tonne angekommen, und es zeigt sich auch dort: An Bjarne Mädel gebunden ist der Erfolg der Figur durchaus nicht. Die Dialoge, die Ingrid Lausund, ehemals Hausautorin am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, für den »Tatortreiniger« schrieb, sind so knackig pointiert, so höchstwahrscheinlich und absurd, dass sie ihre Wirkung auch in anderer Besetzung entfalten.
Skurriles Gesellschaftsbild
Ingrid Lausund schrieb für die Serie unter dem Pseudonym Mizzi Meyer; alle Folgen, die sie verfasste, sind fürs Theater verfügbar. Die Tonne stellte vier Episoden des »Tatortreiniger« zusammen – bekannte, weniger bekannte, solche, die dem Publikum Lachtränen in die Augen treiben, solche, die es nachdenklich stimmen. Und zuletzt eine, die es bei aller Komik auch ein wenig das Grauen lehrt.
Der »Tatortreiniger« Heiko »Schotty« Schotte ist einer, der Wohnungen reinigt, in denen sich Gewaltsames zutrug. Das Blut an den Wänden bleibt in der Tonne der Vorstellung überlassen. Schotty tritt auf, pinselt, kratzt, weiß, mit welch chemischer Verbindung man welchen Schmutz wegbekommt, ist ganz der Experte. Und setzt sich in der einen oder anderen Mordwohnung auch gerne mal aufs Sofa, um sich ein Spiel seines liebsten Fußballvereins anzusehen.
Und immerzu trifft er am Tatort auf seltsame Leute, mit denen er seltsame Gespräche führt. Auf wunderbar indirekte Weise zeichnet die Serie so ein Porträt der deutschen Gesellschaft – denn Schotty, der Vollblutprolet, begegnet Menschen aus den unterschiedlichsten Schichten. Im Theater Tonne sind sie sämtlich weiblich, sodass David Liske als Tatortreiniger gewissermaßen auch zum Fachmann wird für Frauen unterschiedlichsten Temperamentes in unverschuldeten Tötungszusammenhängen. Und Chrysi Taoussanis zur Fachfrau in der Darstellung solcher Figuren.
Drehsituation als Rahmen
Sibylle Schulze hat die Bühne schlicht und wandelbar gestaltet. Mal wird ein Bett gebraucht, mal ein Koffer, mal ein paar Kartons. Man hört Stimmen zu Beginn jeder Episode, sieht Techniker, die umherlaufen: Gespielt wird in Enrico Urbaneks Inszenierung so, als seien Dreharbeiten für eine neue Folge im Gange. Die Umbauten werden zum Teil des Spiels. Zuerst ist da das Zimmer mit Bett. Im Hintergrund durchschwimmen Fische stoisch ein Aquarium, auf einem Mauervorsprung steht Hochprozentiges. Und während Schotty schon am Putzen ist, kommt eine Dame zur Tür hereinspaziert, die sich später als käuflich zu erkennen gibt, zunächst einmal aber sehr erschrocken ist. Man lernt hier, dass Prostituierte, hier in eigenverantwortlicher Tätigkeit, auch nur Menschen sind, die heimgesucht werden von Currywürsten, Waschmaschinen, Bahnschaffnern und anderen Unbilden. Ins Geschäft kommen Schotty und die käufliche Dame nicht – obwohl er ja eigentlich gerne möchte, sich zu ihrem Entsetzen die seltsame Reizwäsche des Verstorbenen überzieht. »Die meisten wollen Domina, aber ich bin da nicht festgelegt «, sagt sie. Er will ihr nicht glauben. »Leck mir den Stiefel und wag es nicht, mich dabei anzuschauen«, erwidert sie, allerliebst.
»Ganz normale Jobs« hieß diese Politfolge des Tatortreinigers. »Das freie Wochenende« heißt die zweite von der Tonne erwählte, ausgestrahlt in der fünften Staffel der Fernsehserie. Hier trifft Schotty auf eine Frau, die verwandt war mit dem Mann, der gemeuchelt wurde, und sich außerdem von allen Seiten mit Arbeit und Verantwortung überhäufen lässt.
Nachricht aus dem Jenseits
Der clevere Tatortreiniger hilft dieser Frau – und wird in der nächsten Folge von seiner eigenen fiesen Vergangenheit eingeholt. Meldet sich der tote Obdachlose, dessen Spuren er beseitigen soll, doch mittels eines Mediums aus dem Jenseits und gibt sich als alter Klassenkamerad zu erkennen, der von Schotty einst böse gepiesackt wurde.
Ganz zuletzt verschlägt es den Tatortreiniger in einen finsteren Keller, der vollgepackt ist mit Nazi-Devotionalien. Und in dem ihm eine Dame mit besonderem Geschichtsbild begegnet: Chrysi Taoussanis spielt die aalglatte Irre, die in all ihrer Alice-Weidel-haftigkeit einen barschen Hitlergruß ins Telefon bellt, so fabelhaft wie die blöde Bomberjacke, die dann erscheint und bei jedem zweiten Satz »Deutschland!« sabbert. David Liske indes lehnt sich als Schotty zurück, setzt sich ein schräges Lächeln auf, ist jeder Situation mehr oder weniger gewachsen, verlässt sich immer auf seine Bauernschläue – und ruft in diesem Fall die Müllabfuhr. (GEA)
Einfach nur Materie am falschen Platz
von Moritz Siebert
SCHWÄBISCHES TAGBLATT, 21.1.2025
Premiere – Er räumt auf – und hinterlässt doch immer etwas, meist eine Welt, die ein bisschen besser geworden ist. Am Theater Tonne in Reutlingen wird die erfolgreiche TV-Serie »Der Tatortreiniger« zum Theaterstück über eine TV-Serie.
Er bildet sich nichts darauf ein, vermutlich ist es nicht mal seine Absicht, aber es gelingt ihm doch immer, etwas zu bewirken, etwas zu hinterlassen. Er hilft Menschen aus Krisen, er erkennt im Kleinen das große Ganze und leistet, ganz nebenbei, Beiträge zur Suche nach dem Sinn des Lebens. Hauptfigur Heiko »Schotty« Schottes Horizont ist begrenzt. Seine Feststellungen mögen plump wirken. Ins Licht gerückt handelt es sich natürlich um tiefsinnige Weisheiten, die seine Gesprächspartner, Zuschauerinnen und Zuschauer sowieso, zum Nachdenken bringen. »Dreck ist einfach nur Materie am falschen Platz.«
»Der Tatortreiniger« mit Bjarne Mädel in der Hauptrolle, 2011 bis 2018 ausgestrahlt, wurde für den NDR zu einer der erfolgreichsten Serien überhaupt. Angelegt ist sie kammerspielartig, die Episoden sind jeweils auf einen Raum, zwei handelnde Figuren und Dialoge, grandios komische Dialoge, begrenzt. Der Schritt der Serie auf die Bühne lag also irgendwie nahe. Die Autorin, hinter dem Pseudonym Mizzi Meyer verbirgt sich die Theaterfrau Ingrid Lausund, hat die TV-Serie selbst für die Bühne adaptiert.
Gespielt wurde »Der Tatortreiniger« auch schon häufig an deutschen Bühnen. Am Reutlinger Theater Die Tonne inszeniert Intendant Enrico Urbanek vier Episoden aus der Serie. Die Hauptrolle spielt David Liske, alle anderen Rollen Chrysi Taoussanis. Es geht nicht darum, die Episoden neu zu erfinden, jeder Serien-Kenner wird sie sofort wiedererkennen, sondern das Format TV-Serie zu bearbeiten. Vor Episodenstart und danach sind Stimmen aus dem Off zu hören, die Studio-Situationen wiedergeben. Es geht um kurze Absprachen, um die Maske, es wird gewitzelt, der Umbau wird Teil des Stücks. Einmal klagt der Hauptdarsteller in einer Drehpause, er habe sich versprochen, ob die Szene nicht nochmal gedreht werden könne. Und da wird die Distanz zwischen Fernseh-Studio und Theaterbühne plötzlich ganz groß: Nein, wiederholen geht selbstverständlich nicht, es gibt keine Schnitte, eine Perspektive, keine Pausen, stattdessen permanente Beobachtung. Regisseur Urbanek gelingt es, die vier Episoden zu einer durchgehenden Erzählung zu verbinden. Er spielt nicht Fernsehserie nach, sondern macht auch Theater über eine Fernsehserie.
Die Bühne ist ein Fernsehstudio
Schotty diskutiert in Reutlingen mit einer Prostituierten darüber, ob sie normale Jobs haben. Eine Frau, die gleichzeitig ein Kita-Treffen, eine Beerdigung und einen Kongress organisiert, bewegt er zu einer Auszeit. Welten treffen aufeinander, als er einer Schamanin begegnet, die die Seele eines Verstorbenen auf dem Weg ins Jenseits begleitet. Am Ende finden sie doch eine gemeinsame Ebene. In einem Nazi-Vereinsheim – »Im besten Sinne des Wortes sind wir Rassisten« –, gelingt es Schotty aufzuräumen – im besten Sinne des Wortes.
Chrysi Taoussanis findet elegant von einer Rolle in die nächste und präsentiert vier grundverschiedene Charaktere. David Liske spielt Schotty als liebevoll unbeholfene Figur, leicht naiv, so wie er aus der Serie bekannt ist. Liske drängt ihm nicht ein neues Profil auf, eifert dem TV-Schotty aber auch nicht nach. Die Bühne (Sibylle Schulze) ist als Fernseh-Studio gestaltet, mit mobilen Elementen und wenigen Mitteln verwandelbar, von einer Wohnung zum leerstehenden Haus zum Vereinsheim.
Zu seinem eigentlichen Job, einen Tatort zu reinigen, kommt der Tatortreiniger nicht wirklich. Er trifft an den unterschiedlichen Orten auf Menschen aus unterschiedlichen Milieus, in unterschiedlichen Lebenssituationen und mit unterschiedlichen Berufen. So funktioniert die Tatortreiniger-Dramaturgie: Es ist nicht so, dass sich die Gegensätze hier anzögen, aber mit Gegensätzen lässt sich eben sehr gut Geschichten erzählen. Schotty berichtet gerne von seinem Beruf und versucht immer, auch wenn das nicht klappt, Eindruck zu machen: »Meine Arbeit beginnt da, wo andere sich vor Entsetzen übergeben.« Vor allem aber bringt er eine geradezu kindliche Neugierde für andere mit und lässt sich bereitwillig in Gespräche verwickeln. Er wird Lebensberater, lässt sich selbst bereichern in Gesprächen, bereichert die anderen. Er putzt und räumt auf, hinterlässt aber immer auch etwas. Meistens ist das eine Welt, die ein bisschen besser geworden ist. Oder zumindest ein Gedanke, wie sie besser werden könnte.