Schockverliebt und verwirrt

von Christoph B. Ströhle

REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER, 01.02.2020

 

Monospektakel − »Emmas Glück« mit Britta Scheerer

 

REUTLINGEN. »Auf den pass auf!«, sagt sich die Titelfigur im Monolog »Emmas Glück«. Sie meint das wertschätzend, hat sie sich doch zum ersten Mal in einen Mann verguckt, den sie nicht mehr ziehen lassen will. Ein teurer Sportwagen ist nachts aus der Kurve geflogen und auf ihrem Bauernhof gelandet, der kurz vor der Zwangsversteigerung steht. 

 

In der Produktion des Stuttgarter Theaters La Lune (Regie: Dieter Nelle) nach dem Roman von Claudia Schreiber lernt man eine deftige, Kittelschürze tragende Emma kennen, pointiert und mit hinreißend kraftvoller Präsenz verkörpert von Britta Scheerer. Beim Solo-Festival Monospektakel des Theaters Die Tonne durfte sich das Publikum am Donnerstagabend aber auch von den weiteren Eigenschaften dieser Figur (und der Darstellerin) überzeugen. Eine mitfühlende, empfindsame Emma war da zu erleben. Eine, die Träume von den verstorbenen Eltern und Großeltern plagen. Auf einer Bühne voller Äpfel nahm einen die Bäuerin, die liebevoll von ihren Schweinen spricht und vom Schlachten und Wurstmachen lebt, auch mit in traumatische Erlebnisse.

 

Auf der Anklagebank

Die Geschichte, die Schreiber in ihrem Roman entwirft, ist zwar in Teilen holzschnittartig, und doch schafft sie es, schafft Scheerer es, damit zu berühren. Weil es ganz nebenbei auch darum geht, was Bindungen in unserem Leben ausmachen. Was Glück bedeutet angesichts der Gewissheit, dass wir alle sterben müssen. Früher oder später.

 

Im Fall des schwerkranken Max, in den sich Emma schockverliebt, es anfangs aber nicht so recht zeigen kann, früher. Er fleht Emma an, als sie geheiratet haben und seine von Bauchspeicheldrüsenkrebs herrührenden Schmerzen unerträglich werden, ihm zu helfen. Und wieder träumt Emma, diesmal, dass sie vor Gericht steht, als Mörderin angeklagt, und nur ihre alte Sau, die fast so etwas wie eine Mutter für sie ist, beteuert ihre Unschuld. Der Gedanke an Sterbehilfe lässt Emma nicht los. Sie kann es irgendwann nicht mehr ertragen, ihren geliebten Max leiden zu sehen.

 

Britta Scheerer, die alle Figuren selbst spielt, auch Emmas Freund, den Dorfpolizisten Henner, und dessen ewig keifende Mutter, schafft es, das Publikum 90 Minuten auf diese emotionale, nie rührselige Reise mitzunehmen. Das Stück ist modernes Märchen, Krimigroteske und wundervoll skurrile Liebesgeschichte in einem.

 

Selten hat man eine so vor Leben und Widersprüchen strotzende Figur wie Emma auf der Bühne gesehen. Da nimmt man auch in Kauf, dass in der Tragikomödie gestohlene Dollars, ein abgefackelter Ferrari und der Traum vom unbeschwerten Leben in Mexiko etwas plump eingeflochten sind.

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