LEBENSFROHE GESPENSTER DES TODES

von Armin Knauer
REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER, 06.05.2013



REUTLINGEN. Sie hat sich als von Pfeilen durchbohrte Hirschkuh gemalt und als Schmerzensfrau, deren zerstörter Köper nur durch eine Eisenstange zuasmmengehalten wird: Schmerz und Tod sind die zentralen Themen im Werk der mexikanischen Malerin Frida Kahlo, seit ihr als 18-Jähriger ein Busunfall Becken und Wirbelsäule zertrümmerte - eine Verletzung, die sie bis zuletzt peinigte. Und doch strahlen die Bilder der Mexikanerin eine farbliche Glut aus, als brenne dieser Schmerz mitten in einer blühenden Frühlingslandschaft.

Die Reutlinger Tonne hat die Persönlichkeit der Mexikanerin nun in einem mit behinderten Darstellern der Baff-Theatergruppe gemeinsam entwickelten Stück auf die Bühne gebracht. Enrico Urbaneks Inszenierung von »Frida Kahlo« zeigte sich bei der stark bejubelten Premiere am Freitagabend in der Planie 22 nicht als Lebensbeschreibung, sondern als Annäherung an die Gedankenwelt der Künstlerin: in atmosphärischen, mal traurigen, mal lustig-grotesken Bildern.

WENIG BIOGRAFISCHE FAKTEN
Das ist die Stärke und Schwäche des Stücks zugleich: Informationen zum biografischen Hintergrund der Malerin liefert es kaum, stattdessen zieht es den Zuschauer umso nachdrücklicher in die Stimmungswelt der Frida-Kahlo-Sphäre hinein. Die biografischen Fakten beschränken sich darauf, dass man Frida in Gestalt Franziska Schillers siechend im Krankenbett liegen sieht; die zwiespältige Beziehung zum chronisch untreuen Ehemann Diego Rivera klingt an; auch ihr politisches Engagement blitzt auf. Das alles bleibt jedoch nur angedeutet, richtig einordnen kann es wohl nur, wer sich vorher mit Kahlos Vita befasst hat.

Umso stimmiger ist die atmosphärishe Seite. Bühnenbildnerin Ilona Lenk hat einen turmhohen Frauentorso auf die Bühne gestellt, dessen Rumpf von Projektionen der Multimediakünstler von Casa Magica belebt wird. Wälder wachsen da über Fridas angedeuteten Körper, der später als Steinwüste verdorrt oder kaleidoskopartig überwuchert wird.

Im offenen Reifrock unter dem Torso-Turm zaubern Michael Schneider und Valerio Pizzorno mit Gitarren, Geigen, Viola und Gongs eine zwischen Fröhlichkeit und Morbidität schwankende Klanglandschaft im folkloristischen Geist der mexikanischen Mariachi-Musik. Hinten klappern die Gebeine eines »Knochen-Vorhangs«, aus dem auch mal Stoffblumen aufblühen. Die ansonsten leere Spielfläche wird zunächst zum Schauplatz des »Día de los Muertos«, des mexikanischen Totenfestes, das mit Musik, Tanz und Blumen begangen wird, weil die Ahnen zu Besuch kommen.

DIE SPHÄREN FLIESSEN INEINANDER
Diese ständige Mischung der Sphären von Tod und Leben, Schmerz und Fröhlichkeit macht die Welt der Kahlo aus - und sie hält die lockere Szenenfolge des Stücks zusammen. Regisseur Urbanek setzt dabei auf einen Wechsel von Rezitationen aus Kahlos Briefen (so durch Katja Trumpold oder Alfhild Karle) und mal turbulente, mal verwunschen-stille Bewegungs-Choreografien. Mit Totenmasken bestückte Darsteller wandeln gleichberechtigt zwischen jenen, die die Sphäre der Lebenden verkörpern. Manchmal wird die bedrohliche Gewalt der Todessphäre spürbar, so wenn Elif Alici als Frida im Bann der vier Totenschädel-Männer (Stephan Wiedwald, Jochen Rominger, Bahattin Güngör, Walter Rebstock) wie unter Peitschenhieben zusammenbricht. Dann wieder wird der Schrecken des Todes dem Lachen preisgegeben - so wenn einige Darsteller sich mit verschieden hoch gestimmten Rasseln zu einer Art »Klavier des Erschreckens« formieren: Immer wenn Michael Schneider einen der Spieler berührt, ertönt durch dessen panisches Zusammenzucken ein spezifischer Rasselton.

Dazwischen wird findungsreich skurril an die mexikanische Revolution erinnert. Valerio Pizzorno wendet sich im Stil eines Commandante ans Volk, was Michael Schneider simultan übersetzt. Jochen Rominger schwingt sich mit Sombrero und Sonnenbrille zum Diktator auf und schwingt den Revolver. Hier Terror und Schrecken, dort gleich wieder wunderbarer Gesang: von Elif Alici, von Seyyah Inal, innig und anrührend.

BESONDERE AUTHENTIZITÄT
So fließt stets das Schmerzliche und das Fröhliche ineinander - und zieht den Zuschauer in die Sphäre der Künstlerin. Dass ein Teil der Darsteller selbst mit einer Behinderung lebt, gibt der Aufführung eine besondere Authentizität. Zwar geht Regisseur Urbanek mit diesem Aspekt sehr dezent um - dennoch bekommt das zentrale Thema der Verletzlichkeit von Körper und Seele durch die Darsteller, die teils im Rollstuhl auftreten, einen besonderen Nachdruck.

Auf der Bühne agieren dabei: Elif Alici, Karin Dürr, Dunja Fuchs, Bahattin Güngör, Cornelius Hoffmann-Kuhnt, Seyyah Inal, Alfhild Karle, Walter Rebstock, Jochen Rominger, Franziska Schiller, Katja Trumpold, Gabriele Wermeling, Stephan Wiedwald sowie Michael Schneider und Valerio Pizzorno.

 

 

EINE HOMMAGE ALS TOTENFEST

von Kathrin Kipp
REUTLINGER NACHRICHTEN, 06.05.2013



So bunt, so surrealistisch und so biografisch wie ihre Bilder: Die Theatergruppe Menschen mit Behinderung an der Tonne zeigt eine exzentrische »Kahlografie« über die mexikanische Künstlerin Frida Kahlo.

REUTLINGEN. Wie übersetzt man Bildende Kunst fürs Theater? Dieser Herausforderung haben sich jetzt die Tonne-Schauspieler mit Handicap unter Regisseur Enrico Urbanek, Ausstatterin Ilona Lenk und Musiker Michael Schneider gestellt. Und aus dem Leben und Werk Frida Kahlos einen bunten, biografischen, traurigen, mexikanischen, poetischen und musikalischen Bilderbogen zusammengestellt.

Ein Riesen-Torso auf einem vertrackten Metallgestell weist auf Frida Kahlos viele Verletzungen, Schmerzen und Einschränkungen hin, die sie ja auch in ihren farbenprächtig provozierenden Bildern zum Ausdruck gebracht hat. Auf den Torso projiziert die »Casa Magica« kunstvolle Bilder, Muster und Farben, ohne je ein tatsächliches Bild von Frida Kahlo zu verwenden: Stacheldraht, verfremdete Wirbelsäulen, Kunstfassaden. So präzise wie abstrakt werden die körperlichen und seelischen Befindlichkeiten visualisiert, unter denen Kahlo gelitten haben muss.

Unter dem Torso tummeln sich Michael Schneider und Valerio Pizzorno, die mit traurigen mexikanischen Klängen den Totentanz vertonen, der den Bilderrahmen für die Kahlo-Hommage bildet. Bevor aber das mexikanische Totenfest gefeiert wird, nehmen die Schauspieler in ihren bunten Totenkopfkostümen Aufstellung für ein ganz persönliches Statement: Sie bewundern vor allem, dass sich Frida Kahlo nach ihrem Busunfall und trotz aller Behinderungen, Rückenkorsetts und Schmerzen nicht hat unterkriegen lassen. Dass sie trotzdem versucht hat, »das Beste daraus zu machen« und das Leben, die Liebe und die Kunst in allen Schattierungen auszukosten.

Was war sie alles, fragen sich die Kahlo-Darsteller auf der Bühne: »Malerin? Biografische Malerin? Surrealistin? Kommunistin? Trotzkistin? Geliebte? Liebende? Ein Mythos?« Verarbeitet hat Frida Kahlo ihr schmerzvolles Leben auch in sehr makabren Bildern.

Und als ein kleiner »danse macabre« kommt deshalb auch der Kahlo-Bilderbogen der Tonne daher: Jochen Rominger, Bahattin Güngör, Stephan Wiedwald und Walter Rebstock tanzen mit ihren Totenmasken (Jule Klink) den Lebenden entgegen, während sich die anderen mit ihren flackernden Grablichtern auf die Suche nach Diego und Frida begeben, und hinter dem klackernden Bambusvorhang die Irrlichter tanzen.

Seyyah Inal singt mit sehr viel Gefühl eine traurige mexikanische Volksweise. Die Toten werden mit Blumen und dem verführerischen Gesang von Elif Alici herbeigelockt. Beim mexikanischen Totenfest wird aber auch gefeiert, gegessen, getanzt, getrunken und gesungen. Leider werden die Schauspieler darin immer wieder etwas ausgebremst. Frida Kahlo selbst meldet sich auch zu Wort, mit Kindheitserinnerungen, Liebesbriefen und politischen Protestbriefen: Alfhild Karle, Dunja Fuchs, Gabriele Wermeling, Franziska Schiller und Katja Trumpold sprechen die Texte, während Karin Dürr und Cornelius Hoffmann-Kuhnt in der Percussion-Abteilung für Rhythmus sorgen.

Und kein Stück mit Michael Schneider ohne skurrile Soundexperimente: So wird die Kunst-Party auch mit Klappertoninstrumenten und mit einer kleinen Schreisinfonie gefeiert. Arriva! Schneider und Pizzorno geben dazu die leichenblassen Straßengaukler, verkörpern die Freiheit in der Kunst, die vom bösen Diktator eingeschränkt wird. Jochen Rominger zwingt den vielstimmigen und sehr bunten Chor (»Völker, hört die Signale«) in die Knie und bringt den Protest mit Waffengewalt zum Schweigen.

Eine große Rolle in Kahlos Leben spielte aber auch die spannungsvolle Beziehung zu Diego: »Vielfalt in der Einheit« heißt, die Streits werden auch mit viel Temperament ausgetragen, weshalb Franziska Schiller mit einem herzhaften »Du Drecksack, du Elender« über die Bühne tobt, bevor sich die Schauspieler mit weiteren Bildbeschreibungen, Tanztheater- und Pantomimeeinlagen und einer Körperbemalungs-Performance weiter durch das Leben und Werk der geheimnisvollen Künstlerin assoziieren, einiges auch in eher verschlüsselter Art und Weise. Wie in der Kunst eben.

 

Zurück