Durchs innere Chaos
von Kathrin Kipp
REUTLINGER NACHRICHTEN, 08.11.2014
Am Tonne-Theater monologisiert sich Kathrin Becker durch die zerrissenen Gefühle und Gedanken der Dichterin Else Lasker-Schüler im schweizerischen Exil. Regie führt Intendant Enrico Urbanek.
REUTLINGEN. Else Lasker-Schüler (1869-1945) hat in Berlin gerade den Kleist-Preis entgegengenommen (1932), als auch schon die Nationalsozialisten die Macht übernehmen. Als jüdische Schriftstellerin wird sie von der SA tyrannisiert, ihre Bücher werden verbrannt. Deshalb flieht sie schon 1933 in die Schweiz, wo sie allerdings nicht als politischer Flüchtling anerkannt wird, weil es für die Schweiz offiziell keine Judenverfolgung in Deutschland gibt. Im Exil geht sie unter: Sie hat kein Geld, fühlt sich einsam, fremd und als Künstlerin nicht anerkannt, darf nicht arbeiten und wird von den Behörden schikaniert.
Ulrich Zaum hat aus diesem Flüchtlingsschicksal ein Theaterstück gemacht, in dem die expressionistische, avantgardistische und leicht exzentrische Dichterin ihre wechselhaften Befindlichkeiten in unzusammenhängenden Monologfetzen zum Ausdruck bringt.
Regie führt Enrico Urbanek, der die äußeren Umstände ihrer tragischen Lebenslage per Off-Stimme ins Geschehen bringt: Ein Schweizer Beamter von der Ausländerbehörde verkündet eine Art Gutachten über die Asylantragstellerin. Deren »Anwesenheit ist weder notwendig noch wünschenswert«, wegen »allgemeiner Überfremdung« und »armenrechtlicher Bedenken« - die Gegenwart lässt grüßen. In der Flüchtlings-Bürokratie hat sich seit damals offenbar nicht viel geändert, außer, dass man vielleicht nicht mehr ganz so unverblümte Formulierungen verwendet. Kathrin Becker wiederum macht ihre Sache sehr gut: Ihre Else Lasker-Schüler monologisiert sich als deren Lieblingsfigur »Prinz von Theben« in ihren eigenen Bewusstseins- und Gefühlsstrom hinein, der sich auf der Bühne anfangs in Form von Filmfetzen abspielt. Urbanek hat auf der Bühne eine zerrissene Leinwand aufgehängt (die Dichterin war eine leidenschaftliche Kinogängerin), die aber ebenso als Scherbenhaufen durchgeht, der immer wieder anders oder gar nicht leuchtet. So korrespondiert das Gefühlswirrwarr von Else Lasker-Schüler mit dem bunten Farben-, Licht- und Dunkelspiel der Scherbenszenerie. Sie selbst sitzt meistens auf einer leuchtend schiefen Ebene, auf der sie ständig herunterrutscht, sich aber auch immer wieder hoch kämpft, im ständigen Wechselspiel zwischen Verzweiflung, Sarkasmus, erinnerter Seligkeit, Traumtänzerei, gewaltiger Traurigkeit, Müdigkeit und Erzähldrang.
Von außen wird Lasker-Schüler als leicht verwahrlost beschrieben, auf der Bühne lässt sich Kathrin Beckers Figur mal mehr, mal weniger hängen. Das verbruchstückte Leben, die tragischen Bedingungen, die unkonventionelle Vergangenheit, der experimentelle Sprachgebrauch in der Lyrik, all das findet im Stück seinen Ausdruck im Stilmittel des Bewusstseinsstroms, der zu Else Lasker-Schülers Zeit außerdem ja schwer in Mode war. Und so bilanziert die expressionistische Künstlerin ihr Leben als Monolog in unzusammenhängenden Gedankenfetzen. Sie wechselt ständig ihre Denk- und Ansprechpartner, wahrscheinlich auch die Vorstellung von sich selbst, rettet sich in Erinnerung und Fantasiewelt, ist sich selbst ein experimenteller Roman. Kommuniziert mit mehr oder weniger existenten Figuren.
Kein Wunder, wenn die reale Welt so abartig mies ist. Und will man irgendwie noch ein Fünkchen Stolz bewahren, bleibt nur noch die Flucht ins innere Chaos. So sitzt sie im Kaffeehaus, versucht ihr Berliner Leben mit der hedonistischen Exzentrik der dortigen Kunst- und Literaturszene zu kopieren und fällt damit komplett auf die Schnauze. Und sieht sich komplett unverstanden von der biederen Züricher Kulturwelt. Aus alter Gewohnheit flirtet sie mit dem blutjungen Kellner und versucht als alternde Diva ein wenig Würde zusammenzukratzen.
Kathrin Becker zeigt sie mit leicht brüchigem Stolz, als verletzte Diva, bemüht um ein klein wenig exzentrische Fassade. Immer wieder muss sie sich die Stimmen ihres ignoranten Umfelds anhören, sieht sich von Nazi-Spitzeln verfolgt und fühlt sich aussätzig: Sprache, Leben, Gedanken, Gefühle, Bühne, Kunst, Heimat: alles nur noch Bruchstück.
Am Ende taucht die Traumfigur »Tabac« auf (Seyyal Inal), der sie mitnimmt in ihre alten Träume von Erfolg, Geld und USA, aber selbst die Erinnerungen schmerzen, ist doch ihr Sohn Paul schon mit 27 Jahren an Tuberkulose gestorben. Dafür stirbt die Hoffnung zuletzt: »Sobald der Krieg vorbei ist, nehm ich den ersten Zug zurück« nach Deutschland.
Eine Gestrandete
von Bernhard Haage
SCHWÄBISCHES TAGBLATT, 08.11.2014
REUTLINGEN. Sowohl die Märchenfigur »Fundevogel« als auch die Dichterin und Malerin Else Lasker-Schüler haben einen Teil ihres Lebens in einer Umgebung verbracht, in die sie eigentlich nicht gehörten. Das ist dann aber auch die einzige Gemeinsamkeit. Die Künstlerin, die 1933 vor den Nazis ins schweizerische Exil ging, hatte keine Vertraute, die mit ihr durch Dick und Dünn ging. Deswegen war es ja eigentlich auch ein Ein-Personen-Stück, das am Donnerstag Premiere in der Tonne hatte. Der Monolog einer Gestrandeten, die dort, wo sie an Land ging, nicht wirklich willkommen ist.
In irgendeinem Züricher Kino vor einer reizvoll gesprengten Leinwand, deren Einzelteile zu dreidimensionalen, illuminierten Bühnenelementen wurden, reflektiert die exzentrische Selbstdarstellerin, gut gespielt von Kathrin Becker, ihre Situation. Besonders bedrückend, wie zynisch die Schweizer Bürokratie mit ihr als mittelloser, jüdischer Emigrantin umgeht. »Im Deutschen Reich findet keine politische Verfolgung statt«, die offizielle Aussage klingt heute wie purer Hohn.
Dazu machen Lasker-Schüler die fehlende Anerkennung, das zunehmende Alter und die Erinnerung an den viel zu früh gestorbenen Sohn zu schaffen. Sie, die sich in Berlin gerne selbst als Prinz von Theben inszenierte und die bevorzugt auf junge, gut aussehende Männer steht, muss damit klar kommen, dass sie hier nicht gefragt ist. Weder als Dichterin (»zuviel Pathos«) noch als potenzielle Liebhaberin eines bildschönen Pizzakellners.
»Wer hat auf diesen Affen Engelshaut geklebt?« Die sensible Künstlerin kann auch austeilen, besonders wenn es um ihr unfreundliches Exil geht: »Schweizerin - alleine das Wort klingt grässlich«, findet sie und die Zuschauer geraten mit ihr gemeinsam immer mehr in eine ausweglose Sackgasse. Einen Lichtschimmer bringt Regisseur Enrico Urbanek schließlich mit Seyyah Inal. Als Vertreter einer imaginären Theaterdirektion, rollt er im Rollstuhl auf die Bühne und bietet Else Lasker-Schüler ein üppig dotiertes Theaterengagement in New York an. Traum, Hoffnung und unbeugsamer Trotz lassen die Dichterin eine groteske arabische Szene entwerfen. Eine Spezialität aus besseren Zeiten. Aber Seyyah Inal ist wahrscheinlich doch nur Tabac, ein selbst erfundener Geist und Berater.
Unterm Strich
Das einstündige Stück erfordert einige Konzentration und etwas Vorwissen. Eine eigentliche Handlung gibt es nicht, die schrille Künstlerpersönlichkeit Else Lasker-Schülers wird im Grunde nur angedeutet, aber dem Ausweglosen der Situation kann man sich kaum entziehen.
Rätselhafte Erinnerungssplitter
von Nadine Nowara
REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER, 08.11.2014
REUTLINGEN. Sie ist in einem expressionistischen Gemälde gefangen. Neonbunte Splitter durchschneiden die Dunkelheit des röhrenförmigen Backsteingewölbes der Tonne-Spielstätte im Spitalhofkeller. Else Lasker-Schüler, gespielt von Kathrin Becker, ist ihrer eigenen Gedankenwelt ausgesetzt. Dabei wollte sie nur ins Kino gehen und sich in den fernen Orient hineinträumen. Das ist die Situation in Ulrich Zaums Stück »Fundevogel«, das in der Regie von Enrico Urbanek am Donnerstag Premiere hatte.
Urbaneks Bühnenbild verweist auf die expressionistische Kunst der zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfolgreichen Malerin und Dichterin. Die Machtübernahme der Nazis 1933 ließ der Deutschjüdin keine andere Wahl, als ins Schweizer Exil zu flüchten. Das brachte einen herben Statusfall mit sich. So war ihr als Asylantin nicht mehr erlaubt, ihre Kunst zu verkaufen. Mittellos kämpfte sie sich von einem Tag zum anderen und war auf fremde Hilfe angewiesen. Becker verkörpert überzeugend die Persönlichkeit der Lasker-Schüler. So zeigt sie sich jugendlich schwärmerisch, wenn es um junge Männer, den Orient oder ihr dichterisches Schaffen geht.
Die Gesamtstimmung der Inszenierung ist eher tragisch. Die Ablehnung der Gesellschaft, die Lasker-Schüler ständig entgegenschlägt, zieht sich wie ein roter Faden durch die collagenhafte Handlung. Selbstbewusst versucht sich die Künstlerin, ihr Asylrecht in der Einwanderungsbehörde zu erkämpfen. In vielen Situationen verzweifelt sie aber auch an ihrer aussichtslosen Lage.
Im Verlauf der Handlung scheint sie immer mehr dem Wahnsinn zu verfallen. Sie hört Stimmen im Kopf, wie etwa den negativen Klatsch über sich und ihren Sohn. Wenn Lasker-Schüler in ihrer Erinnerung auf ihren bereits früh verstorbenen Sohn trifft, wirkt das bewegend. Der intensivste Moment und eines der wenigen poetischen Elemente des Stückes ist jedoch, wenn alle Lichter erlöschen und Becker eines der Gedichte der Lyrikerin rezitiert. Solche Augenblicke könnten ruhig häufiger sein. Denn Lasker-Schülers sehr bildhafte Sprache bietet viel Raum zur Assoziation.
Gegen Ende des Stückes kommt eine Lichtgestalt in einem Rollstuhl auf die Bühne. Tabac, gespielt von Seyyah Inal, wirkt wie die Verkörperung der Wünsche der Dichterin. So bietet er ihr einen Arbeitsvertrag an. Seine ruhige Art wirkt wie ein Gegenpol zur energisch auftretenden Becker. Das grelle Scheinwerferlicht bricht die eigentlich in dem Moment aufkommende positive Stimmung.
Dass Becker vorwiegend zu einem unsichtbaren Gegenüber spricht, veranschaulicht die Isolation der Dichterin im Schweizer Exil. Da die Situationen nicht immer leicht zuzuordnen sind, wünscht man sich jedoch häufig den Dialogpartner herbei. Wer sich im Vorhinein nicht mit der Biografie der Künstlerin auseinandergesetzt hat, tut sich sicher schwer damit, die collagenhafte Szenenfolge zu durchschauen. Nichtsdestotrotz lohnt es, sich, Kathrin Becker in ihrem Monolog inmitten eines eindrucksvollen Bühnenbildes zuzuschauen.