Krasser Rollentausch
von Kathrin Kipp
REUTLINGER NACHRICHTEN, 11.07.2015
Mit Heimgeorgel und Todeswalzer: So begleitet die Tonne die arme Elisabeth aus »Glaube, Liebe, Hoffnung« in Richtung Hölle - ein inklusives Opferstück, bei dem Menschen mit Behinderung die Bösen spielen.
Die Tonne hat sich dieses Mal nicht für ein luftig-leichtes Sommerstück entschieden, sondern für einen modernen Klassiker voll tragischer Gesellschaftskritik - nämlich für »Glaube, Liebe, Hoffnung« aus der Feder des ungarisch-österreichischen Dichters Ödön von Horváth.
Als Hommage an die 25-jährige Partnerschaft mit Szolnok (Ungarn), aber auch als Hommage an schlechte Zeiten, die es ja alle Zeit gibt, zumindest für die jeweiligen Underdogs jedes Systems. Das wiederum ist bei Horváth durch gnadenlose Paragraphenreiterei, Ungerechtigkeit, Unmenschlichkeit und bürokratischen Wahnsinn geprägt. Und es treibt vor allem die kleinen Leute in die Verzweiflung.
So reiht sich auch bei der tapferen Elisabeth ein Unglück an das andere. Ein kleiner Gesetzesbruch ergibt den nächsten. Eigentlich will sie, als Vertreterin in der Korsett(!)-Branche, ihr Leben selbst gestalten. Allein, die Umstände erlauben es nicht.
Die Abwärtsspirale nimmt ihren Lauf: Totalüberwachung, Moralgetue, Regelzwang und spießbürgerliche Enge geben ihr den Rest - die Gutste geht ins Wasser. Regisseurin Karin Drechsel experimentiert mit dem eher karg konstruierten Opfer- und Betroffenheitsstück, indem sie die Macht- und Gewaltpositionen im Stück mit den Tonne-Schauspieler(inne)n mit Handicap besetzt.
Das heißt, die sonstigen Außenseiter, Non-Konformisten, Rollstuhlfahrer und Querköpfe spielen hier die gnadenlosen Staatsgewalttätigen, Bürokratoren, Philister, Moralapostel, Vergewaltiger und Denunzianten - ein krasser Rollentausch, bei dem die üblichen Kategorien schwer durcheinandergeraten.
Diesem Setting kommt entgegen, dass Horváth seinen kleinen »Totentanz in fünf Bildern« in sehr schlichter, woyzeckhafter Volkspoesie gehalten hat, die das Ensemble groß- und einzigartig performt. Elisabeth (Chrysi Taoussanis) will sich den übermächtigen Herrenmenschen und Verhältnissen anpassen, indem sie besonders gestenreich und deutlich kommuniziert - vergeblich, sie wird einfach nicht gehört.
Und so versucht sie mantramäßig, sich Hoffnung zu predigen, vergeblich - die Verhältnisse, sie sind nicht so. Nicht einmal Aufgeben ist erlaubt, man holt sie wieder aus der Donau. Der Held (Bahattin Güngör) wird gefeiert, und sie bekommt nicht einmal ihren Wandergewerbeschein, der ihr ein legales Leben ermöglichen würde.
Da kann Chrysi Taoussanis' Elisabeth noch so beeindruckend wütend gegen die engstirnige Allgemeinheit anbrüllen - es bringt alles nichts. Martin Winkelmanns zackiger, überkorrekter Verkehrspolizist als Elisabeths zwischenzeitlicher Lover verspricht kurzfristig Rettung (schon tanzen die Engelchen auf der Bühne).
Doch auch er kann gegen die geballte Fremdbestimmung ebenfalls nichts ausrichten - die Pflicht ruft. Franziska Schiller im Rollstuhl spielt die ertragsfokussierte Arbeitgeberin, die gemeinsam mit der fuchsigen Frau Amtsgerichtsrätin (Gabriele Wermeling) Elisabeth disst und mobbt und bei der Polizei verpfeift, quasi wegen nichts. Sekundiert werden sie vom statusgeilen Leichenpräparator, der von Elisabeth bitter enttäuscht ist, weil sie ihn anscheinend betrogen hat - Seyyah Inal spielt diesen schrulligen Typen, der in seiner Anatomie Tauben mit Pommes füttert und seinen toten Hund als Salami spazieren führt.
Die böse Gesellschaft besteht in dieser irren Show aus lauter recht hirnrissigen Typen, die froh sind, wenn sie auf noch schwächeren Opfern rumhacken können. Auch der Oberpräparator (Stephan Wiedwald) verfolgt Elisabeth mit seinem blutigen Messer. Sie verhalten alle wie die Tiere. Fressen oder Gefressen werden. Und Bösesein kann ja auch Spaß machen. Vielleicht tragen auch deshalb alle Krokodil-, Ratten- oder Froschklamotten.
Und wenn sich die Raubtiere mal wieder eine Runde heuchlerisch geben wollen, dann versammeln sie sich zu einer kleinen Buchstabenchoreographie: »Lass Bier, Lass Obstler. Iss Reis, Stirb leis«, lautet die Botschaft der ehrenwerten Gesellschaft. Stramm vorne weg: Alfhild Karle als gnadenlose Oberinspektorin, die mit ihren Moral- und Gesetzesvorschriften kurz mal das letzte Stück Glück zerstört.
So ist Elisabeth längst dem Tod geweiht, der in Form von Totenkopf-Geiger Michael Schneider allpräsent ist und ebenfalls mächtig Lust auf Opfer hat. Er umgarnt Elisabeth mit luftigen Weisen aus seinen Todes-Heimorgeln, bis sie endlich kraftlos nachgibt.
Sehr schön auch der Rahmensong: Die Tiere stehen als sonnenbebrillte Mischung aus Drama-Touristen und himmlische Spötter auf der Bühne und singen »Springtime in Paradise«. Böse, böse.
Gesellschaft unterm Brennglas
von Christoph B. Ströhle
REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER, 11.07.2015
REUTLINGEN. »Zuerst kommt die Pflicht – dann Ewigkeiten nichts.« Elisabeth kann mit diesem Satz nichts anfangen. Alfons Klostermeyer, von Beruf Polizist und gerade noch ihr Geliebter, schiebt sie damit weg, um seine Karriere nicht zu gefährden.
Ewigkeiten nichts? Elisabeth, die tragische Heldin in Ödön von Horváths kleinem Totentanz in fünf Bildern, genannt »Glaube Liebe Hoffnung«, lebt hier und jetzt, versucht in einer kalten, von Massenarbeitslosigkeit und starren Regeln geprägten Gesellschaft den Kopf nicht hängen zu lassen.
Chrysi Taoussanis gibt dieser Figur aus dem 1932 erschienenen Stück Integrität, lässt sie Glaube, Liebe, Hoffnung (und Verzweiflung) durchleben. Ein starkes Ensemble unterstützt sie dabei, auf die Notwendigkeit dieser biblischen Trias (erster Korintherbrief) hinzuweisen – um ihr als Bühnenfiguren doch überwiegend die kalte Schulter zu zeigen.
Bei der Premiere des diesjährigen Reutlinger Sommertheater-Stücks am Donnerstag im Spitalhof unter freiem Himmel erhielt das integrative Theaterensemble von Baff und Tonne zu Recht viel Applaus.
Cooler Sprechgesang
Regisseurin Karin Drechsel, die erstmals an der Tonne gearbeitet hat, setzt die literarische Vorlage ebenso unaufgeregt wie eindrucksvoll um. Der Clou ihrer Inszenierung: Es sind weitgehend Menschen mit Handicap, die Elisabeth bei ihren Versuchen, im Leben zu reüssieren, Knüppel zwischen die Beine werfen oder sie abblitzen lassen. Dabei sind gesellschaftliche Mechanismen am Werk, die, wie unterm Brennglas betrachtet, keinen kalt lassen können. Man leidet mit der Protagonistin, die in den Augen derer, die über sie urteilen, eine Randständig-Kriminelle ist. Ihr Werdegang ist ein Teufelskreis. Wegen alter Schulden und eines neuen Vertreterjobs, für den sie einen kostenpflichtigen Wandergewerbeschein braucht, versucht sie sich Geld zu leihen. Sie benötigt Geld, um arbeiten zu können – und sie braucht Arbeit für das eigene Auskommen. Im Anatomischen Institut spricht sie vor, um ihren Leichnam schon zu Lebzeiten zu verkaufen. Doch das funktioniert nicht.
Der Präparator des Instituts (Seyyah Inal) leiht ihr Geld. Als er wenig später aber erfährt, dass Elisabeth das Geld zur Bezahlung einer Geldstrafe verwendet hat, die ihr wegen Handelns ohne Wandergewerbeschein aufgebrummt wurde, zeigt er sie wegen Betruges an.
Auf Alfons (Martin Winkelmann), ihren Geliebten, mit dem sie für kurze Zeit im siebten Himmel ist, kann Elisabeth nicht zählen. Er verübelt ihr, dass sie ihm die Vorstrafe verschwiegen hat. Allein, ohne Arbeit, ohne Geld, ohne einen Menschen, verliert die junge Frau jegliche Hoffnung. Der Tod mit Badeschlappen (Michael Schneider), der sie mit seiner Geige schon länger umgarnt, wird ihr Tanzpartner – hinein in eine Welt, von der niemand weiß, ob nicht auch da »Ewigkeiten nichts« kommt.
Zynisch wirkt da der – großartig gestaltete – coole Sprechgesang, den, garniert mit tänzerischen Moves des Ensembles, Seyyah Inal anstimmt: »Springtime in Paradise«.
Finsterer Oberpräparator
Als weitere Darsteller mit kleineren oder größeren Charakterstudien zu erleben sind Bahattin Güngör, Alfhild Karle, Antje Rapp, Jochen Rominger, Franziska Schiller, Katja Trumpold, Gabriele Wermeling und Stephan Wiedwald, die ihre Rollen mit Hingabe ausfüllen – sei es, dass Güngör den tollkühnen Lebensretter gibt, der Elisabeth im Superman-T-Shirt aus dem Fluss zieht; sei es, dass Wiedwald sie als finsterer Oberpräparator mit einem Messer schreckt (der geigende Tod wirkt harmlos dagegen), oder dass Schiller als Chefin Irene Prantl Elisabeth schreiend zurechtweist mit den Worten »Wer schreit, hat Unrecht«.
Nie um einen abgehobenen Lebensrat für die Gebeutelte verlegen ist Wermeling in der Rolle der Frau Amtsgerichtsrätin, die skurrilerweise den toten Fuchs, der ihr um den Hals hängt, sprechen lässt. Musikalisch bleiben neben dem Sprechgesang und den rhapsodischen Geigenimprovisationen von Gevatter Tod die wiederkehrenden Heimorgelgrooves in Erinnerung.