Liebe, Tod und Krokodile

von Kathrin Kipp

REUTLINGER NACHRICHTEN, 11.10.2014

 

Heiner Kondschak nimmt nun die hochwohlgeborene Gattung Oper aufs Korn: »Helden Lieben Tod und Teufel« ist eine lustige, abenteuerliche Opernparodie mit Schattenspiel, toll gesungen und rasant musiziert.

 

Schon ganz am Anfang drängeln sich die zwei Operndiven - Michael Schneider und Bernhard Mohl - als »Chor« nach vorn. Sie werfen sich den weißen Seidenschal um den Hals und besingen die universale Geschichte von vergänglicher Schönheit, von Liebe, Intrige und Seitensprung seit Anbeginn der Zeit. Hinten an der Schattenspielleinwand spielen sich die entsprechenden Szenen ab.

 

Und auch dieser Chor muss sich später eingestehen, dass er wie so oft eigentlich »überflüssig« ist, da kann er noch so affektiert rumtun. Und so nimmt das Singspiel von Heiner Kondschak so manches Opern- und Abenteuer- und Märchenklischee auseinander.

 

Die Hexe (Chrysi Taoussanis) ist hier eine schöne Anarchistin und sympathische Steuersünderin ohne Falten, die gegen das Böse kämpft, das in Form von König Balthasar (Robert Atzlinger) und dessem skrupellosen Adjutanten (wieder Chrysi Taoussanis) durch den Schattenwald reitet und schöne Frauen entführt. Zum Beispiel die Bauersmaid Marie (Constance Klemenz), die ihrerseits ihrem verliebten Stallknecht Pierre (Robert Atzlinger) gerade eine Abfuhr erteilt hat. Jeder der Schauspieler darf - wie im richtigen Leben - mal eine gute, mal eine böse Rolle spielen.

 

Die eigentlich ungeniert oberflächliche Handlung wirft nämlich zwischendurch überraschend große Fragen auf, zum Beispiel diese: Darf man einem bösen Staat Steuern zahlen, wenn man selber so gut ist wie die Hexe?

 

Während der Zuschauer noch darüber nachdenkt, ruft die entführte Marie ihren verschmähten Pierre zu Hilfe, der auf seiner Rettungsmission so manches Abenteuer zu bestehen hat. Und schon wieder öffnen sich seinsphilosophische Falltüren: Auf dem berühmten Steg zur anderen, zu allem Überfluss auch noch sehr bösen Welt nämlich muss der leicht bedröppelte, aber auch bauernschlaue Pierre erst einmal ein seltsames Mischwesen aus Liebe, Tod und Teufel, Mann und Frau (Michael Schneider) besiegen, das auch noch sieben Leben hat.

 

Was will uns Libretto-Reimer Kondschak damit schon wieder sagen? Neben diesen rätselhaften Denkanregungen gibts außerdem viel Metatext unter dem Motto »Komm-zurück-zur-Handlung!« Und natürlich noch mehr Musik.

 

Das unermüdliche Salon-Orchester aus Cello (Jonathan Gray), drei Geigen (Michael Schneider, Bernhard Mohl und Dessislava Stojanova) und E-Mandoline (Heiner Kondschak) spielt sich rasant durchs muntere Entführungsdrama. Es räubert stilistisch in allen Gefilden, untermalt die abenteuerliche Szenerie und die großen Gefühle der Protagonisten mit lieblichen Folk-Weisen, schmelzigen Lovesongs und zackigem Tango, Blues und Country: alles zwischen Lagerfeuer, Cowboyflair, Volksfest, Ballsaal, Actionfilm und Beerdigung.

 

Auf überkandidelte Arien und schmissige Musicalsongs wartet man vergeblich, dafür singen die Opernheld(inn)en wunderhübsche Duette. Und die Musikanten schaffen abwechselnd hektische, dramatische, romantische, gefährliche, aufregende, giftige oder beschwingt melancholische Atmosphäre.

 

Nur selten verliert man sich in Disharmonie, auch wenn es auf der Bühne durchaus zu der ein oder anderen Disharmonie mit Todesfolge kommt. Ein bisschen Schwund ist immer. Vor allem wenn die tapferen Recken vor lauter Liebeswahn über Leichen gehen. Weil Theater bekanntlich sparen müssen, haben nicht nur die Schauspieler mehrere Rollen, sondern muss auch das Orchester schauspielern. Als Jonathan Gray als Blinder den Weg weist und Dessislava Stojanova versucht, aus ihrem leuchtenden Gummiball die Zukunft zu lesen, kommt Stimmung in die Bude.

Viel Licht und Schatten wiederum offenbart das Bühnenbild von Ilona Lenk. Auf der Leinwand spielen sich Szenen ab, die man aus Spargründen unmöglich auf die Bühne holen kann: Verfolgungsjagden und teufelfressende Krokodile, außerdem viel atmosphärische Landschaft, mit Sonne, Mond, Sterne, Schloss, Kirche oder Wald.

 

Und wie so oft im Märchen, reicht ganz normale Menschlichkeit nicht aus, um das Böse zu besiegen. Es müssen Zaubermittelchen her. Pierre etwa (Robert Atzlinger) kann mit dem magischen Stoff das geheimnisvolle Tod-Teufel-Liebe-Wesen austricksen und sogar den gut trainierten und trotzdem etwas dicken Adjutanten Waldemar im Schwertkampf besiegen.

 

Während Chrysi Taoussanis mit ihrem glockenhellen Sopran ihre eigenen Figuren an die Wand singt, wehrt sich Constance Klemenz Marie sangeskräftig gegen die Grabschversuche der weibstollen Mannsbilder. Aber am Ende kommt sowieso wieder alles anders, als man denkt.Während Chrysi Taoussanis mit ihrem glockenhellen Sopran ihre eigenen Figuren an die Wand singt, wehrt sich Constance Klemenz Marie sangeskräftig gegen die Grabschversuche der weibstollen Mannsbilder. Aber am Ende kommt sowieso wieder alles anders, als man denkt.

 

 

Es wird geliebt, gehext, gefiedelt

von Monique Cantré

REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER, 11.10.2014

 

Heiner Kondschaks »kleine Oper« genehmigt sich ein Vorspiel, in dem garstige Frauen ihre mit Schönheit gesegneten Zeitgenossinnen trickreich um selbige bringen. In der eigentlichen Geschichte wird die Bäuerin Marie von ihren auch nicht gerade netten Mitmenschen als schönste Frau der Welt deklariert, was die Begehrlichkeit des Königs weckt.

 

Als sie ihm nicht freiwillig folgt, raubt er sie kurzerhand. Die verzweifelte Marie ruft den Pferdeknecht zu Hilfe: »Pierre, komm her.« Das klappt, denn er ist abgöttisch in sie verliebt. Bis er sie jedoch befreien kann und in letzter Minute dank des Zaubers einer Hexe vor der Heirat mit dem König bewahren, muss er lebensgefährliche Abenteuer bestehen. Am Ende bekommt er Marie trotzdem nicht, denn sie liebt nur Frauen.

 

Ein ziemlich schräges Libretto mit jeder Menge Wortwitz und kuriosen Märchenanleihen hat Kondschak da zusammengereimt und als Regisseur belebt. Bei der Premiere am Donnerstagabend in der Planie 22, mit der die Tonne die neue Spielzeit eröffnete, brandete immer wieder Gelächter auf, und am Ende gab es jubelnden Applaus mit Juchzern und Trampeln.

 

Gelungene Musik

Der schloss natürlich die tapferen Gesangsleistungen des Ensembles ein sowie die professionelle Vorstellung des Orchesters, sprich: der Saitencombo aus Cello, drei Violinen und Mandoline. Und zu honorieren waren zweifellos die ideenreichen Kompositionen, mit denen Heiner Kondschak seine Story durch die 14 Szenenbilder trug: Musik, in der sich Pop und klassische Sinfonik verbanden, in der Folkmusik von Roma bis Älpler anklangen und Melodisches mit Dramatik und fetzigen Rhythmen abwechselte. Für die meist zweistimmig absolvierten Rezitative gab es traditionellen Continuo-Sound. Mitunter hätte man sich in dem andauernden Gefiedel trotz perkussiven Mandolinentönen freilich auch mal eine Trompete oder ein anderes Blasinstrument gewünscht.

 

Aber man kann nicht alles haben in einem kleinen Theater. Eine Oper mit acht Leuten auf die Bühne zu bringen ist, ist ohnehin ein singuläres Kunststück. Ein Kunstkniff war dabei, sich zusätzlich eines Schattenspiels zu bedienen, das vor allem im Schattenwurf der Darsteller auf der Leinwand großartig war. In den Verfolgungsszenen wurden Reiter und Schwertkämpfer als Stabfigürchen durch Wald und über Hügel gejagt. Die Ausstattung stammte von Ilona Lenk.

 

Die Aufgabe, mit jeweils zwei Partien plus Choreinsätzen eineinhalb Stunden bei Stimme zu sein, ist für nicht ausgebildete Sänger ein Kraftakt. Chrysi Taoussanis, die als attraktive Hexe und als poltriger Adjutant des Königs eine prima Figur machte, hörte man die wohl auch den vielen Proben geschuldete Strapazierung der Stimme an, was dann auf die Textverständlichkeit ging. Constance Klemenz als Marie und als Intelligenzia, die im Gift-Hütchen-Spiel mit der Hexe verlor, kam mit ihren Mezzo-Partien besser durch. Allein Robert Atzlinger als tapsiger Held Pierre und lüsterner König war stimmlich stets auf der Höhe. Und ulkig fiel das Terzett mitunter auch aus der Rolle.

 

Als singende Chronisten traten die beiden Geiger Bernhard Mohl und Michael Schneider auf, Letzterer auch als Teufel, der ungeachtet seiner Person von Krokodilen vertilgt wird. Geigerin Dessislava Stojanova spielte eine bulgarische Wahrsagerin und Cellist Jonathan Gray einen Blinden. Heiner Kondschak, der Chef des Ganzen, gab den Takt an und spielte die Mandoline.

 

 

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