Eleganter Kampf

von Heiko Rehmann

REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER, 10.10.2016

 

Bühne - Die Tonne lud zu ihrem neuesten internationalen Tanztheaterabend mit drei modernen Choreografien in ihrer Spielstätte in der Planie 22

 

REUTLINGEN. Balance und Kampf, Hingabe und Abwehr und am Ende der Tod: drei ganz unterschiedliche moderne Choreografien setzten sich am Samstagabend beim internationalen Tanztheaterabend des Theaters »Die Tonne« mit dem Thema Beziehung auseinander.

 

Ein stampfender Rhythmus, düster und meditativ, von dem Tänzer Matthias Kass selbst komponiert, schallt durch den Raum. Mit Clément Bugnon bildet der Schweizer die Company idem. In ihrem Stück »Equi-libre« geht es den beiden um das Thema Dominanz und Unterwerfung, Kontrolle und Ohnmacht. Sie umkreisen einander, tanzen einen geschmeidigen Kampf, mal liegt der eine am Boden und der andere schaukelt sich auf seinem Rücken, dann wirbeln sie einander durch die Luft und im nächsten Moment hat sich das Kräfteverhältnis umgedreht.

 

Am Ende halten sie sich gegenseitig in einem fragilen Gleichgewichtszustand. Die Leichtigkeit, mit der sie das Gewicht des anderen an ihrem Körper abrollen lassen, zeigt die solide Ausbildung in der John-Cranko-Schule und die Auseinandersetzung mit dem brasilianischen Kampf-Tanz Capoeira.

 

Die Tänzer der Berner Bite the Bullet Dance Company (Inbal Abir, Bryan Atmopawiro, Susan Hoogbergen, Sjifra Ijpma, Charlotte Mathiessen und Michael Wälti, der zugleich der Choreograf ist) liegen zu Beginn ihres Stückes »But The Air Is Never Sweet Enough« verstreut am Boden. Ganz langsam geht die Sonne auf, Vögel zwitschern, die Tänzer räkeln sich, und dann passiert das, womit alles Leben auf der Erde beginnt: Sie treten in Beziehung zueinander. Der pulsierende Rhythmus von Gary Shepherds Musik mischt sich ins Vogelgezwitscher.

 

Langsam strecken sich die Tänzer der Sonne entgegen, tasten sich durch den Raum, gehen aufeinander zu und voneinander weg. Rollen einander über ihre Schultern mit der Beweglichkeit und Leichtigkeit, die das moderne Tanztraining vermittelt. Mal bewegen sie sich ganz weich und geschmeidig, dann wieder mit harten, zackigen Bewegungen. Auch hier fließen Elemente zeitgenössischer Kampfkunst in den Tanz mit ein. So wie sie ein weites Feld von Bewegungsmustern einsetzen, bewegt sich die Musik durch ein weites tonales und rhythmisches Feld, mal als sanft-melodisches Säuseln, mal als elektronisches Grollen.

 

Sutherland-Choreografie

Fortwährend sind die Tänzer im Kampf mit sich selbst und miteinander, der mal zärtlich ist, mal aggressiv. Nur ganz am Ende, da sitzt Susan Hoogbergen auf der Bühne – ganz allein – und schaut in die untergehende Sonne.

 

In James Sutherlands Choreografie »When I Am Laid In Earth« bietet Ermanno Sbezzo ein beeindruckendes Beispiel von Kraft und Eleganz. Zu Henry Purcells Musik kreist er in absolut präzisen Drehungen und mit perfekter Körperbeherrschung um das Thema Tod, um die Frage, ob es Wege gibt, ihn zu akzeptieren, und darum, wie ein Übergang in eine andere Welt aussehen könnte.

 

 

Feuerwerk der Körpersprachen

von Bernhard Haage

SCHWÄBISCHES TAGBLATT, 10.10.2016

 

Tanztheater. Auch die 19. Ausgabe des Festivals im Reutlinger Tonne-Theater am Wochenende wurde von Schweizer Tänzern und Choreographen dominiert.

 

Fast ein Heimspiel war der Auftritt der Company Idem, die seit Jahren zu den Stammgästen des Festivals zählt. Clément Bugnon und Matthias Kass zeigten in ihrer 20-minütigen Choreographie »Equi-libre« den teilweise makaber anmutenden Kampf zweier Charaktere um die Vorherrschaft in der Rollenverteilung zwischen zwei Männern, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten.

 

Bugnon als selbstverliebtes Alpha-Tier treibt dabei sein Spiel nicht nur mit seinem Tanzpartner Kass, den er nach Belieben mit den Füßen verbiegt und herumschubst, sondern auch mit dem Publikum, das er mit fesselndem Blick und spöttischen Siegerposen auf scheinbar humorvolle Weise auf seine Seite zu ziehen versucht. Gerade als das Mitleid mit Kass dann aber doch überwiegt, findet dieser endlich einen Weg, sich zumindest teilweise aus der misslichen Situation des passiven Opfers zu befreien. Am Schluss verstricken sich die beiden Tänzer sogar mit dem Publikum indem sie einen nach dem anderen buchstäblich auf ihre Seite ziehen. Eine tolle Idee, in eindrucksvoller Körpersprache umgesetzt.

 

Schwerer zu ergründen, war das einstündige Werk »But the air is never sweet enough«, das von der Berner Bite the Bullet Dance Company getanzt wurde. Vier Tänzerinnen und zwei Tänzer ringen in der Choreographie von Michael Wälti um Lust, Liebe, Beziehungen, Genuss und Ekstase. Mal dominieren in dem dynamischen Stück Gruppen, dann Paare und immer wieder auch tänzerische Solisten. Unterschiedliche Individuen spiegeln sich gegenseitig, und immer wieder taucht eine Bewegung auf, wie sie von archaisch ekstatischen Tänzen bekannt ist: Das rhythmische Vorstoßen der Brust, Sinnbild eines pulsierenden Atmens.

 

Zu dieser eigenwilligen Tanzcollage passt der abgefahrene Elektro-Soundtrack von Gary Shepherd sehr gut. Mal knisternd hibbelig, dann plötzlich beinahe romantisch und ruhig. Ein ganz normaler Tag möglicherweise – dafür könnte auch der, von der Beleuchtung angedeutete Sonnenaufgang und -untergang stehen. Auch wenn das Stück ganz und gar nicht eindeutig ist, die Leistung der Tänzerinnen und Tänzer war es schon. Die konnte sich wirklich sehen lassen.

 

Ganz anders präsentierte sich »When I am laid in Earth (Remember me)« von James Sutherland. Eine dramatische, sehr individuelle Auseinandersetzung mit dem Tod wurde zu einer Arie aus »Dido et Aenas« von Henry Purcell in Szene gesetzt. Der Tänzer Ermanno Sbezzo zeigte in einem äußerst ästhetischen Solotanz des Choreographen Ideen zu Tod und Sterblichkeit. Beeindruckend, wie ein stattlicher Hüne von Tänzer mit nacktem Oberkörper, in sechs Minuten die ganze Bandbreite von Schmerz, Leid, Hoffnungslosigkeit und letztlich auch Akzeptieren des Unvermeidlichen verkörpern kann. Dem Publikum hat der Einblick in die Welt des zeitgenössischen Tanztheaters gefallen. Es bedankte sich mit langem Applaus.

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