Widerstand aus voller Brust
von Armin Knauer
REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER, 26.09.2020
Bühne − An der Tonne feiert Heiner Kondschaks Protestliederabend »Keine Macht für niemand« Premiere
Reutlingen. Sein schnoddriger Witz ist legendär. Doch die Überzeugung, dass Musik den Unterschied macht, dass ein Lied die Welt verändern kann, die hat Heiner Kondschak all die Jahre jenseits aller Ironie gehütet wie einen Schatz. Nun hat er daraus einen Theaterabend gemacht. Einen Abend des beherzten Ansingens gegen die Verhältnisse, gegen Fürstenwillkür und Raubtierkapitalismus, gegen Rassentrennung und Vietnamkrieg. »Keine Macht für niemand«, schmettert Kondschak gleich zu Beginn mit Rio Reiser in den Saal. Der lebenshungrige Trotz des früh verstorbenen Rock-Revoluzzers zieht sich als Haltung durch das Stück.
Mit Elan und voller Brust stemmt sich der Abend auch gegen die Coronakrise. Statt virenbedingt auf Kleinklein zu machen, stellt Kondschak als Autor, Regisseur und Arrangeur in Personalunion satte zehn Akteure auf die Bühne. Bloß der von Ulrike Härter vorbereitete Chor musste auf drei Sänger reduziert werden. Dabei geht alles abstandsmäßig sauber zu, sogar beim Applaus.
Mahlende Räder der Macht
So wird es kraftvolles, pralles Theater voll mitreißender Musik. Riesige Zahnräder deuten das Mahlwerk der Macht an auf der von Iskra Jovanović-Glavaš gestalteten Bühne. Das Räderwerk, gegen das die Akteure ansingen. Unter dem Rotieren dieser Maschinerie öffnet sich eine Art Raumschifftür, um Personen zu verschlucken oder auszuspucken, um den Blick auf Fahnen und Feuer fallen zu lassen. Hier verschwindet der mutige Hitler-Attentäter Georg Elser nach seinem Verhör. Hier erscheint die nicht weniger mutige Greta Thunberg, um den Erwachsenen ins Gewissen zu reden. Über der Tür tauchen Originalbilder der jeweiligen Epochen auf einer Leinwand auf. Rechts thront die Band auf einem Podest und gibt den Revolutionssongs kräftig Feuer. Links steht ein Regal mit Schachteln, aus denen die Akteure Zettelkästen fischen.
Glavaš hat sie in Schutzkittel gesteckt, auf denen gebrochene Teile des Räderwerks zu erkennen sind. Sie sind Archivare im Archiv der Revolutionen, die dieses und jenes hervorziehen und dabei in Zeiten und Rollen springen. Kondschak selbst, an Mandoline, Gitarre, Flöte, Saxofon, Klavier, Mundharmonika Teil der Band, beginnt locker plaudernd zu erzählen. Schon ist man mitten drin im Bauernkrieg, haben sich Chrysi Taoussanis, Regina Greis und Thomas B. Hoffmann mit Dreschflegeln bewaffnet, während David Liske als Martin Luther von hoher Kanzel herab das Bauerntreiben verdammt. Der Aufstand des kleinen Mannes, er wird denn auch blutig niedergeschlagen. Doch die Lieder wider die Knechtschaft, trotzig geschmettert zu Trommelschall und Flötenton, sie bleiben.
So geht´s im Sauseschritt durch die Jahrhunderte, von Aufstand zu Aufstand. Wie war das noch damals? Eine vergnügliche Geschichtsstunde ist das! Es wird gescherzt und gerätselt, auch mal ein Telefon-Joker gezogen − für was stand das Kürzel IRA? Es wird in die Rollen gesprungen − und gesungen. Über die 1848er-Revolution geht´s zum nordirischen Bürgerkrieg, vom Ersten Weltkrieg zum Naziterror, zu den Rassenunruhen der USA, zum Vietnamkriegprotest.
Atemlos durch die Zeiten
Chrysi Taoussanis nimmt als Gestapo-Beamtin das Geständnis von Hitler-Attentäter Georg Elser zu Protokoll. Nimmt als CIA-Beamtin die Aussage von Rosa Parks zu Protokoll, die in den USA ihren Platz im Bus nicht räumen wollte, nur weil sie schwarz ist. Die Rassentrennung, der Vietnamkrieg − die Zeiten, sie müssen sich ändern! Mit bunten Tüchern im Haar werfen sich alle gemeinsam in Bob Dylans Zeitenwendehymne »The Times They´re A-Changin´«. Auch Berya Yildiz Inci, Jonathan Niklas und Sophie Hebenstreit, die von dem ursprünglich geplanten Chor übrig geblieben sind, stimmen mit ein.
Vielleicht etwas gar zu atemlos geht´s durch die Zeiten: Kalter Krieg, Falklandkrieg, Südafrika. Dagegen steht die Energie der Akteure, die Wucht der Musik. In »Zombie« von den Cranberries bricht sich der Zorn über die sinnlosen IRA-Attentate in verzerrten Gitarren Bahn. Darüber klagen einsam und zerbrechlich die Stimmen von Taoussanis und Greis. Schlagzeuger Christian Dähn zeigt an den Trommeln Kante, dann webt er Sphärenklänge am Vibrafon im Sting-Song »Russians«. Traumhaft Michael Nessmanns sanfte Gitarrensoli in »Zombie« und »Brothers in Arms«. Kondschak wechselt atemberaubend schnell die Instrumente. Hoffmann zupft stoisch den Bass, Liske taucht immer mal wieder am E-Piano auf.
Bewegend in ihrer Zartheit die Flöteneinlagen von Berya Yildiz Inci, die am Ende zu Greta Thunberg wird. Sie alle werfen sich mit vollem Stimmeinsatz gegen die Ungerechtigkeit der Welt ins Zeug. Wenn das Unrecht auch nicht sofort in sich zusammenbricht, so klingt doch aus jedem Lied und jeder Melodie an diesem Abend das felsenfeste Vertrauen, dass nichts verloren ist. Und alles zu hoffen.
Lieder gegen Unterdrückung
von Jürgen Spieß
REUTLINGER NACHRICHTEN, 26.09.2020
Reutlingen − Heiner Kondschaks musikalisch-szenische Revoluzzer-Revue »Keine Macht für niemand« feierte am Donnerstag am Theater Tonne Premiere.
Die annähernd 500 Jahre zwischen dem Deutschen Bauernkrieg und Greta Thunberg in einer Musikrevue mit zehn Darstellern, davon drei Musiker und drei Chorsänger in Coronazeiten auf die Bühne bringen. Geht das überhaupt? Es geht − und in der mit viel Emotionen, Aufbegehren, szenischen Einlagen und ironischen Anspielungen gespickten Collage von Heiner Kondschak ganz hervorragend.
Dabei ist»Keine Macht für niemand« − Rio Reisers Song von 1972 gab der Aufführung den Titel − keineswegs nur ein bloßes Konzert mit 22 Protest- und Freiheitslieder, sondern liefert auch die historischen Informationen zu den Songs. Das geschieht locker und unterhaltsam, indem die gelernten Schauspieler Chrysi Taoussanis, Thomas B. Hoffmann und David Liske sowie die Rottenburger Opernsängerin Regina Greis historische Persönlichkeiten auferstehen lassen.
Von Rosa Parks bis Georg Elser
Da wird etwa die US-Bürgerrechtlerin Rosa Parks, die sich am 1. Dezember 1955 weigerte, ihren Sitzplatz für einen Weißen zu räumen, vorgestellt und in einer anderen Szene Georg Elser nach seinem gescheiterten Bombenattentat auf Hitler von den Nazis verhört. Seine präzisen Ausführungen über die Vorbereitung des Attentats bekommen durch Konstantin Weckers begleitenden Protestsong »Sage nein!« eine ganz besondere Aussagekraft. Oder Nelsoon Mandela, dessen Haftentlassung nach 27 Jahren Gefängnis von Tracy Chapmans berührendem »Talkin´ about a Revolution« begleitet wird, das ihr 1988 den ersten musikalischen Welterfolg bescherte.
Von Martin Luther und Thomas Müntzer führen die Themen zur 300 Jahre späteren Badischen Revolution um Friedrich Hecker und Gustav Struve. Dann der historische Sprung zu den irischen Freiheitskämpfen, zum Widerstand gegen Hitler zu den Bewegungen gegen den US-Rassismus sowie gegen den Kalten Krieg und zum faschistischen Putsch in Chile, dem neben vielen anderen der Sänger Victor Jara brutal zum Opfer fiel. Zu den berührendsten Momenten gehört Pete Seegers frühes Lied gegen den Vietnamkrieg, »Bring´em home«, Stings Kalte-Krieg-Anklage »Russians« und »Zombie« von den Cranberries aus dem Jahr 1994 über den Nordirlandkonflikt mit einer fabelhaft singenden Regina Greis.
Der Charme der Revoluzzer
Heiner Kondschak und sein musikalisches Ensemble wollen mit ihren Protest- und Freiheitsliedern aufrütteln und sie lassen in ihrem Spiel und Gesang keinen Zweifel daran, dass diese Lieder eine besondere Bedeutung haben. Die Songs oszillieren zwischen Aufbegehren und Revolte, zwischen Liedermacher-Wut und rockenden Protesthits, zwischen ausdrucksstarkem Chorgesang und anspruchsvollem Musizieren. Kondschak profiliert sich wie gewohnt als Allroundmusiker und Moderator, seine Kapelle mit Michael Nessmann (Gitarre) und Christian Dähn (Schlagzeug) präsentiert den Mix aus Folk, Rock und Revoluzzer-Lieder effekt- und stimmungsvoll. In erster Linie ist für die emotionale Wirkung aber der tolle Gruppengesang verantwortlich, der von den Chorsängern Sophie Hebenstreit, Yildiz Inci und Jonathan Niklas unterstützt wird und dem Gesamtsound abwechslungsreiche Spannungsmomente verleiht.
Der fast zweistündige Mix aus Musik und Textcollagen funktioniert von der ersten bis zur letzten Minute, vor allem auch deshalb, weil sich Text- und Liederauswahl wunderbar ergänzen. Dazu zeigt eine Leinwand originale Bilddokumente und das von Iskra Jovanović Glavaš gestaltete Bühnenbild gleicht einer beweglichen Zeituhr. So erleben die begeisterten 80 Zuschauer mit Kondschaks musikalisch-szenischem Liederabend eine unangepasste und obendrein stimmungsvolle Aufführung mit viel subversivem Revoluzzer-Charme.
Wann, wenn nicht jetzt?
von Matthias Reichert
SCHWÄBISCHES TAGBLATT, 26.09.2020
Premiere − Mit der Revue »Keine Macht für niemand« liefert Heiner Kondschak an der Reutlinger Tonne den Soundtrack zur globalen Krisenzeit
Ein Parforceritt von den Bauernkriegen bis zu Greta Thunberg − Heiner Kondschak hat für das Reutlinger Tonne-Theater eine Revue mit politischen Liedern geschrieben und inszeniert. Am Donnerstagabend war die gefeierte Premiere.
Zahnräder einer Uhr drehen sich im Hintergrund, Ausstatterin Iskra Jovanović-Glavaš steckt das Ensemble in rote Kittel mit jeweils zeittypischen Assecoires. Kurze Spielszenen beleuchten historische Hintergründe, was freilich gelegentlich arg nach Wikipedia klingt. Am Anfang und am Ende steht Rio Reiser − eingangs die titelgebende Ton-Steine-Scherben-Hymne »Keine Macht für niemand« und zuletzt »Der Traum ist aus« und »Wann, wenn nicht jetzt?«
Zum Aufstand des »Armen Konrad« von 1524 wettert David Liske als Luther hoch oben von der Kanzel wider die »räuberischen und mörderischen Horden der Bauern«. Diese mobilisieren mit Rockmusik gegen Pfaffen und Obrigkeit, bis der Aufstand blutig niedergeschlagen wird. »Danach gab es in Deutschland für drei Jahrhunderte keine größeren Aufstände mehr«, doziert Thomas B. Hoffmann. Das Publikum hört von der Badischen Revolution 1848. In einem Trinklied feiert das Ensemble den Wein mit Bierhumpen in der Hand. Das berühmte »Badische Wiegenlied« erklingt, zwischendurch läutet die Telekom durch und fragt nach dem weiteren Geschick des Revoluzzers Friedrich Hecker.
Thunberg und Garagenrock
Kondschak, Chrysi Taoussanis, Regina Greis, Liske und Hoffmann singen durchweg versiert und mit Seele. Seitlich wirbeln mit Kondschak der Gitarrist Michael Nessmann und der Schlagzeuger Christian Dähn; Schauspieler Hoffmann lässt immer mal wieder den E-Bass krachen. Vom vorgesehenen Projektchor (Leitung: Ulrike Härter) sind wegen Corona nur zwei Akteurinnen und ein Akteur geblieben, die aber mischen munter mit.
Zum irischen IRA-Terror von 1916 läuft »Zombie« vno den Cranberrys, das klingt freilich ein bisschen nach Garagenrock. Auf einer Leinwand werden Bilder von historischen Personen und Szenen eingeblendet, gegen Ende gibt es auch eine Rede von Greta Thunberg.
Anlässlich der 1,7 Millionen Toten im Ersten Weltkrieg singen sie anrührend Hannes Waders Lied vom Soldaten. Die NS-Zeit wird in einer Szene vom Verhör des Hitler-Attentäters Georg Elser thematisiert. 60 Millionen Tote gehen auf das Konto der Nazis − dazu gibt es Konstantin Weckers Widerstandsklassiker: »Sag nein!« Nun wird die schwarze US-Amerikanerin Rosa Parks verhört, die sich 1955 im Bus auf einen Platzt setzte, der für Weiße reserviert war − und einen landesweiten Boykott auslöste. »Sister Rosa« heißt der Song von den Neville Brothers dazu, hier gerappt mit Schmackes, und Kondschak bläst zur Abwechslung Saxophon.
Hoffmann zitiert Martin Luther Kings »I Have A Dream«-Rede, Liske schmettert die Devise von Malxolm X: »Stop singing and start swinging« − hört auf zu singen und schlagt zu. Doch ermordet werden sie beide. Die fein gerockte Version von Dylans »The Times They Are A-Changing« hat so einen bitteren Beigeschmack. Als es um den Vietnamkrieg geht, schmettern sie, als Hippies kostümiert, Pete Seegers »Bring Them Home«. Zum 11. September fällt Kondschak nicht der Terroranschlag von 2001 ein, sondern der Tod des chilenischen Staatschefs Salvador Allende am gleichen Datum 1973. Es gibt ein anrührendes Solo für den ermordeten chilenischen Widerstandskämpfer Victor Jara, »Brothers in Arms« von den Dire Straits mit fulminanten Gitarrenriffs zum Falklandkrieg und Stings »Russians« mit gefühlvollem Duett von Taoussanis und Greis anlässlich des Ost-West-Konflikts im Kalten Krieg.
Kondschak erzählt einen (schwachen) Putin-Witz, Tracy Chapmans »Talking Bout A Revolution« feiert den südafrikanischen Freiheitshelden Nelson Mandela. Mit Rio Reiser schließt sich der Kreis. Und als Zugabe gibt es ein Medley, beginnend mit: »Was keiner wagt...«, das Konstantin Wecker auch nicht besser hingekriegt hätte. Teils stehende Ovationen; so ein Abend tut gut in dieser verrückten globalen Krisenzeit.
Unterm Strich
Die historischen Szenen sind ein bisschen Wikipedia-lastig, manche Gags ein wenig platt. Aber die Songs und Lieder sind erste Sahne und sehr ansprechend dargeboten. Und darum geht es ja eigentlich.