Selbst ist der Musiker
von Christoph B. Ströhle
REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER, 17.12.2018
Theater − Heiner Kondschak nimmt das Publikum im Theater Die Tonne mit in seine »Klangwelten«. Dabei füllt er in 90 Minuten gleich sechs Jobs aus
REUTLINGEN. »Es ist alles okay, yippie-ay-yeah«, hat ein Plattenproduzent getextet und will, dass daraus ein Sommerhit wird. Zwei Stunden haben die sechs dafür engagierten Musiker Zeit, dieses Lied und einen weiteren Titel einzuspielen. Das Studio und ein Tontechniker sind für diese kurze Zeitspanne nur gebucht.
Okay ist für Heiner Kondschak in der Rolle des Musikers, der den Laden zusammenhalten soll, allerdings nichts. Denn seine fünf Mitmusiker glänzen durch Abwesenheit. Unverschuldet, versteht sich. Flötistin und Saxofonistin Petra steckt im Zug von Hamburg her fest, Bassgitarrist Oliver und Schlagzeuger Gerd stehen auf der A8 im Stau, und auch Gitarrist Sven und Pianist Carsten sind kurzfristig verhindert. Was also tun?
Heiner, wie sich Heiner Kondschak auch im von ihm geschriebenen Stück »Klangwelten« nennt, das am Samstag im ausverkauften Tonnekeller Premiere feierte, entschließt sich, mit der Aufnahme seines Parts auf der Mandoline schon mal anzufangen. Mit dem Musikproduzenten steht er lediglich telefonisch in Kontakt. Er lässt ihn nicht wissen, dass er der einzige Musiker im Studio ist. Vom Techniker sportlich unter Druck gesetzt, spielt er nach und nach auch die anderen Stimmen ein und singt sogar die Chöre.
Strenger Tontechniker
»Heiner Kondschaks Tonstudio live« heißt das in Reutlingen uraufgeführte Stück im Untertitel − und ist gar nicht mal so weit weg vom echten Leben. Denn Kondschak hat zuletzt im Sampling-Verfahren die CD »Wo nachts im Wald die Steine schrein. Kondschak singt Gundermann« aufgenommen und dabei alle zwölf Instrumente selbst gespielt. Wie so etwas vonstatten geht, zeigt der Theaterabend, bei dem der echte Tontechniker Lukas Armbruster − von seinem im Zuschauerraum platzierten Mischpult aus mal animierend, mal gnadenlos streng mit dem Musiker ins Gericht gehend − mitspielt.
Die sparsame Handlung des Stücks setzt dabei den unterhaltsamen Rahmen. In Echtzeit mitzuerleben, wie Kondschak die verschiedenen Instrumente einzeln oder zum von ihm zuvor aufgenommenen Sample einspielt, ist freilich überaus spannend. Immer wieder erklärt er seinem Publikum, was er da tut: dass das jetzt gerade das Zwischenspiel ist oder er mit der Tin Whistle auch einen pfeifenden Teekessel nachahmen kann. Was bei den beiden Liedern, von denen das zweite »Wo ich lebe, ist es still« das poetischere ist, allerdings nicht gefragt ist.
Gut 90 Minuten dauert das Ganze. Dabei gelingt es dem Musiker, den Produzenten bei Laune zu halten und, ohne dass dieser es mitbekommt, satte sechs Gagen einzustreichen.
Man erfährt auch einiges über die Musiker, die bis zum Schluss fernbleiben. Etwa, dass Sven, der in Ohmenhausen in einer umgebauten Garage wohnt, stolz darauf ist, dass er noch nie einer geregelten Arbeit nachgegangen ist. Was dazu führt, dass, wenn er um 18 Uhr eine Verabredung hat, er für 16.30 seinen Wecker stellen muss.
Kondschak lässt auch mindestens einen von Petras schlechten Witzen vom Stapel und zitiert Frank Zappa, der gesagt haben soll, der Jazz sei nicht tot, rieche aber schon komisch. Heiner Kondschak gelingt es, den Musikbetrieb zu persiflieren und gleichzeitig seinem Publikum auch echte Einblicke zu geben. Das fasziniert. Auch erweisen sich die erst am Schluss komplett präsentierten Lieder als echte Ohrwürmer.
Keep on Rocking - ein musikalisches Experiment
von Sissi Klapp
SCHWÄBISCHES TAGBLATT, 17.12.2018
Premiere − »Ohne Proben ganz nach oben«: Heiner Kondschaks unterhaltsame One-Man-Show »Klangwelten« im Tonne-Theater-Keller
Reutlingen. Es ist ein Theater-Experiment, ein Musikpuzzle, eine Ton-Technik-Unterrichtseinheit und eine Sezierstunde in der Songpathologie an lebendigem Material: Mit seinen »Klangwelten« geht Heiner Kondschak im Tonne-Keller ins fiktive Tonstudio von Lukas Armbruster und produziert zwei Songs.
Die Story: Medienmanager Waiblinger will einen »Summer of Love 2019«-Sampler produzieren und Heiner Kondschaks Band soll zwei Hits beisteuern. Kondschak ist auch schon im Tonstudio, aber die anderen stecken noch im Stau, in der Bahn, im Bett. Aber Zeit ist Geld und der alte Geizkragen Waiblinger hat das Studio nur für zwei Stunden gebucht, also muss Kondschak sich sputen. Und er hat Glück: die Instrumente stehen zufällig alle schon da und so spielt er sie eben alle selbst ein. Denn der Clou bei den Musikaufnahmen ist ja, dass man sowieso alles getrennt voneinander aufnehmen muss, damit sich die einzelnen Tonspuren akustisch nicht ins Gehege kommen.
Das Tonstudio-Spielen ergibt vielleicht nicht einen so bedeutungsschweren Theaterabend, ist aber eine ganz originelle Idee. Knisternder wäre es sicherlich, wenn es hier unter ein paar Rockstars rock´n´roll-mäßig aus dem Ruder laufen würde. Aber Kondschak wagt das Unterfangen auch (fast) alleine und macht aus seinem Setting einfach eine kleine Ton-Technik-Lehrstunde, für ein Publikum, das gerade eine Führung durchs Gebäude macht. Und so steht er zwischen seinen Instrumenten, macht flotte Sprüche − »Ich tauge nicht als Führer« −, erklärt technische Details und spielt ein Instrument nach dem andern ein.
Das funktioniert vor allem deshalb, weil Heiner Kondschak Heiner Kondschak und an sich schon unterhaltsam ist und charmant, lustig, sorglos und lässig. Und weil er so genial wie schludrig ist und auf der Bühne sowieso fast alles bringen kann. Indem die Songs in ihre Einzelteile zerlegt und konserviert werden, erfahren wir aber auch noch ganz nebenbei etwas über das Wesen der Musik, über das Zusammenwirken von Sound und Komposition, Spieltechnik und Gefühl, Präzision und Lebendigkeit, Harmoniegewohnheiten und Originalität, Dynamik und Arrangement, Rhythmus und Zusammenspiel, auch wenn man alleine ist. Und über die Unbestechlichkeit des Metronoms. Selbst wer eine Botschaft sucht, kann eine finden: Wenn dich alle verlassen, auf die Technik ist Verlass. Manchmal.
Instrumenten-Multi Kondschak und Tonne-Allrounder Lukas Armbruster spielen sich selbst und das unverstellt und authentisch − auch eine Kunst. Der Tontechniker verliest jeweils die Mails mit den Absagen der Bandmitglieder: »Sorry, hab verschlafen, keep on rocking all over the world«. Kondschak spielt in einem Rutsch und mit höchster Konzentration Mandoline, Gitarre, Klavier und Rhythmusgruppe ein, setzt noch Saxophon, irische Flöte und dreistimmigen Gesang oben drauf. Und so werden die zwei Songs nach und nach immer fülliger, man lernt sie immer besser kennen und lieben. Der eine, ein lustiger Quatschsong: »Und jetzt lieg ich am Strand« und während andernorts der Urknall vonstatten geht, »werde ich braun, damit die Fraun nach mir schaun, Yippie-ay-Yeah-Hoooo«. Der zweite Sommerhit ist eher eine melancholische Singersongwriternummer: »Wo ich lebe, ist es still«. Aber so eine generelle Verlassenheit hat auch ihre Vorteile: Man kann die ganze Gage alleine einsacken.