Männer ohne Nerven
von Kathrin Kipp
REUTLINGER NACHRICHTEN, 21.03.2015
Alles muss raus: Ein Kunstwerk ganz in Weiß bringt die Freunde Serge, Marc und Yvan an den Rand eines dreifaltigen Nervenzusammenbruchs. Die Tonne-Regie gibt dem explosiven Mix auch noch Nirvana bei.
»Here we are now. Entertain us.« Inmitten der »Heimspiel«-Ausstellung des Kunstvereins spielt sich Yasmina Rezas Theater-Erfolgsstücl »Kunst« ab. Der geöffnete Aufzug ermöglicht uns einen Blick in die Vergangenheit der drei »Kunst«-Freunde: Die Tonne hat hier einen Bandproberaum installiert. Dort haben die Drei früher, als sie noch jung waren und Charakter hatten, offenbar miteinander gerockt und gesoffen.
An die gute alte Zeiten erinnert ein kleiner Ghettoblaster, aus dem in zittriger A-cappella-Version Nirvana herausgedudelt kommt, »Smells Like Teen Spirit«, gesungen von den drei Helden aus dem »Kunst«-Stück, das so oft gespielt wird, dass es schon schwierig wird, daraus etwas Eigenes zu gestalten.
Regisseurin Karin Eppler hat sich für ihre Version an Kurt Cobain erinnert, der seinerzeit mit Nirvana das weiße Nichts in Songs übersetzt hat - in einer Zeit, als auch die drei Freunde aus dem Theaterstück vielleicht noch unverstellt, charakterstark, munter fatalistisch und vor allem sich selbst waren, vielleicht noch undeformiert von Kapitalismus, Konsum und Statusquatsch. Und als es noch eine Freude war, wenn man grundverschieden war.
Heute ist das eher lästig, sich mit den peinlichen Geschmäckern und Selbstdefinierungsversuchen der anderen auseinandersetzen zu müssen. Jedenfalls hat sich Serge, warum auch immer, für 200 000 Francs (heute zirka 100 000 Euro) ein monochrom weißes Bild gekauft: einen »weißen Scheiß« mit »weißen Streifen« - der Inbegriff des vielsagenden Nichts. Die Freunde können es nicht fassen. Kunst oder Statussymbol? Fake oder Fakefakefakefake?
Wenn man lange genug auf eine weiße Fläche starrt, sieht man ja bekanntlich immer mehr Farben und Formen darauf tanzen. Und so gibt auch im Stück die weiße Fläche (und die weiße Bühne) eine großartige Projektions-, Angriffs-, Licht- und Schattenfläche ab, für alles, was in der Dreier-Freundschaft in 20 Jahren erfolgreich untergebuttert wurde.
Denn kaum kommt das teure weiße Nichts ins Spiel, sind die drei Tretminen kaum noch zu halten, rasten mehr oder weniger kontrolliert aus und werfen sich gegenseitig ihre kläglichen Existenzen vor. In etwas übernatürlich offenherziger und direkter Weise - ist ja aber auch ein Theaterstück. Und so lässt auch in der Tonne-Inszenierung das unbeschriebene weiße Bild die große kleine Welt der drei Protagonisten aus den Fugen geraten. Alles wird in Frage gestellt: Freundschaft, Geschmack, Status, Identität und Kunstverständnis. Das sage noch einer, Kunst bewirke nichts.
Die Schauspieler wiederum machen ihre Sache großartig: Sie unterhalten uns. Wenn wir schon mal da sind. Gunnar Kolb als Dermatologe Serge versucht, seine Sinnlöcher im Leben mit Kunst vollzustopfen und sich dadurch einen Wert zu geben. Robert Atzlinger als pseudorationaler Aeronautik-Ingenieur Marc versucht, sich als Ekel zu perfektionieren und seine Befindlichkeitsstörungen mit Globuli wegzustopfen.
Und Thomas Kees als Psychowrack Yvan versucht, sämtliche Missstimmungen in sich hineinzustopfen. Das muss natürlich alles wieder raus. Zwischen den Szenen sorgen die drei mit stets neuen Varianten von Cobains Song für kurze Entspannung, bevor sie wieder von Neuem wortreich aufeinander losgehen. Jeder gegen jeden. Alle gegen einen. Die Schauspieler entwickeln mit ihren neurotischen und hochexplosiven Figuren auf der intimen Kunstvereins-Bühne eine enorme Energie und Strahlung, können aber auch zartes Mienenspiel und feinste Nuancen.
Gunnar Kolbs Kunstbesitzer Serge ist mächtig stolz auf seine neue Errungenschaft, als auch schon Robert Atzlinger als Miesmacher Marc aufkreuzt und das Bild persönlich nimmt. Er regt sich tierisch darüber auf, wie Serge für so viel Geld so einen Schwachsinn kaufen kann, nur, um sich in höheren Kreisen und besseren Freunden wichtig zu machen.
Marc ist ein brodelnder Vulkan, ständig kurz vor dem Ausbruch, will alles und alle kontrollieren, hat sich aber selbst nicht im Griff. Ehrlichkeit geht ihm vor Höflichkeit. Und während Serge und Marc als beleidigte Leberwürste herumschmollen und -grollen, kommt Thomas Kees als Dritter ins Spiel: Yvan, der harmoniesüchtige und wehleidige Looser verzichtet lieber auf eine Meinung und heult sich dafür beim Analytiker aus. Ein Opfer, auf das alle einprügeln. Und so geraten die drei Freunde in die unterschiedlichsten Konstellationen und Koalitionen, während auch die Schauspieler immer mehr in Fahrt kommen. Bis das aggressive Trio im Fegefeuer seiner Eitelkeiten und Eifersüchteleien schließlich explodiert.
Die Zuschauer wiederum haben ihren Spaß, anderen dabei zuzuschauen, wie sie sich zerfleischen. Und am Ende vielleicht sogar wieder zusammenraufen, wer weiß.
Drei Männer, eine Insel
von Christoph B. Ströhle
REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER, 21.03.2015
Premiere - Das Theater Die Tonne bespielt mit Yasmina Rezas bitterer Komödie »Kunst« die Galerie des Kunstvereins
REUTLINGEN. Können Männer, die vollkommen unterschiedlich ticken, Freunde sein? Durchaus – an guten Tagen, könnte man im Fall von Marc, Serge und Yvan, den Figuren aus Yasmina Rezas weltweit erfolgreichem Stück »Kunst« sagen. Und gute Tage waren bei dem Trio in zwanzig Jahren Freundschaft eher die Regel als die Ausnahme, wie die bittere Komödie zumindest erahnen lässt.
Dass sie sich jetzt in den Haaren liegen, hat mit Empfindlichkeiten und einem neu entwickelten Hang zur Aufrichtigkeit zu tun – so, als hätten die Freunde ein Bindungen und Loyalitäten zersetzendes Wahrheitsserum bekommen. Zu viel, um Konflikte unter den Teppich zu kehren. Zu wenig, um aus Freunden dauerhaft Feinde zu machen. Genug, um es zu Handgreiflichkeiten kommen zu lassen.
Kunst ist der Auslöser des Ganzen. Denn Serge (Gunnar Kolb), von Beruf Dermatologe, hat sich für teures Geld ein weißes Bild mit weißen Streifen gekauft, was Marc (Robert Atzlinger) schlicht als Hohn empfindet. Der Künstler habe »Form und Farbe, diese beiden Schlacken, ausgemerzt«, spöttelt der hektisch Tabletten schluckende Luft- und Raumfahrtingenieur, was Serge, der das Bild für »sinnfällig« hält, zur Weißglut bringt. Yvan (Thomas Klees) gerät zwischen die Fronten, weil er versucht, auf Friede, Freude, Eicherkuchen zu machen, und erst dem einen, dann dem anderen nach dem Mund redet.
Funés-artiger Wutausbruch
Wie sich im Stück weiter zeigt, geht es bei dem Zwist nur vordergründig um Kunst. Marc fühlt sich durch Serges Verhalten als Autorität zurückgesetzt. Serge hingegen stößt sich an Marcs selbstgefälliger und herablassender Art. An Yvan, der nach Jahren privater und beruflicher Unstetheit in der Ehe und als Angestellter eines Schreibwarenladens sein Glück sucht, haben beide auszusetzen, dass er nicht klar Position bezieht. »Warum treffen wir uns, wenn wir uns hassen?«, fragt er sich und die beiden Streithähne.
Dass auch er sich richtig echauffieren kann, zeigt er in einem Louis-de-Funès-artigen Wutausbruch. Seine Braut, vor allem aber gleich mehrere künftige Schwiegermütter machen für ihn die Hochzeitsvorbereitungen zur Tortur.
Karin Eppler (Regie und Ausstattung) hat das Stück für das Theater Die Tonne in den Räumen des Reutlinger Kunstvereins »auf einem weißen Bild«, sprich: einer fast komplett weißen Bühne inszeniert, umgeben von Werken Reutlinger Künstler aus der Ausstellung »Heimspiel«. Die nach allen Seiten offene Bühne wirkte bei der Premiere am Donnerstag wie eine Insel, isoliert und doch Teil eines Vielfalt widerspiegelnden Ganzen.
Das verlorene Lachen
Auf Auf- und Abgänge verzichtet die Inszenierung weitgehend. Die drei hinreißend spielenden Darsteller bleiben meist auf der Bühne und frieren in direkt an das Publikum gerichteten Monologen oder der Zwiesprache der jeweils anderen bewegungsmäßig ein. Die Archetypen von Kunst-Liebhabern beziehungsweise -Hassern sind gut herausgearbeitet, die Dialoge kommen lebensnah und pointiert daher.
Jedes Mal, wenn Serge sich anschickt, sein Bild hervorzuholen, mit Seidenhandschuhen und glänzenden Augen, ist Ärger vorprogrammiert. Man ahnt das und kann mit der Distanz des Betrachters Vergnügen daran finden. Insgeheim ist es – und Epplers Inszenierung unterstreicht das – ein Stück über das verlorene Lachen. Man fiebert als Zuschauer mit, ob diese so grundverschiedenen Typen es am Ende wiederfinden – mit hundertprozentiger Offen- und Aufrichtigkeit oder eben nicht. Dass sie in Erinnerung an frühere Tage, die sie zusammengeschweißt haben, gemeinsam »Smells Like Teen Spirit« rocken, gibt einen Hinweis auf das Ende. In dem Nirvana-Song heißt es: »Our little group has always been and always will until the end.«
Der satte Applaus am Ende für die Akteure auf und hinter der Bühne war hochverdient.
Porjektionskunst
von Bernhard Haage
SCHWÄBISCHES TAGBLATT, 21.03.2015
In der Tonne hatte Yasmina Rezas »Kunst« Premiere.
REUTLINGEN. Am Donnerstagabend hatte »Kunst« von Yasmina Reza am Reutlinger Theater die Tonne Premiere. Gespielt wurde mitten in der Ausstellung »Heimspiel«, des Kunstverein Reutlingen, was dem oft gespielten Theaterstück eine ganz besondere Wirkung gab.
Strahlend weiß war die Bühne, genau wie das Objekt der Aufregung: ein weißes Bild 1,60 auf 1,20 Meter. Eigentlich keine Provokation, wäre da nicht der Preis von 200.000 Euro, den Serge - gespielt von Gunnar Kolb, dafür freudestrahlend auf den Tisch geblättert hat. Vor allem für seinen Freund Marc (Robert Atzlinger) ist das eine ungeheure Dummheit, eine Unverschämtheit und sogar ein Verrat an ursprünglich gemeinsamen Werten. Als dritter im Bund gerät der stets um Ausgleich bemühte Yvan (Thomas Klees) zwischen die Fronten seiner beiden starrköpfigen Freunde.
Regisseurin Karin Eppler hat das für die Autorin typische Sprachgemetzel um Eitelkeiten und zerbrechende Beziehungen mit einigen geschickten Kunstgriffen an die besondere Galeriesituation angepasst. Keine der Bühnenfiguren verschwindet von der Bühne, wenn sie eigentlich abgehen müsste. Stattdessen »gefrieren« die Schauspieler ganz einfach, wenn sie nicht vorhanden sind.
Das funktioniert überraschend gut. Einen Hinweis auf die gemeinsame Vergangenheit der drei ungleichen Männer gibt immer wieder der Nirwana-Hit »Smells like teen spirit«, den sie am Anfang zu Marcs Klampfe intonieren und auch später bei Szenenübergängen in musikalischen Facetten skizzieren.
Freundschaft auf die Probe gestellt
Also eine langjährige Freundschaft aus Jugendtagen, mit gemeinsamem Abtanzen im Jugendkeller, die plötzlich ausgerechnet durch ein unterschiedliches Kunstverständnis auf eine harte Probe gestellt wird. Robert Atzlinger spielt den konventionellen Realisten, der keine Lust mehr auf die Faxen der anderen hat mit einigem Witz aber insgesamt gnadenlos böse. Das Leben hat aus Marc nämlich einen frustrierten Sarkasten gemacht, während sich der erfolglreiche Dermatologe Serge - plötzlich von Kunstgeist beseelt - das teure Hobby zeitgenössische Kunst leistet. »Hast du für diese Scheiße wirklich 200.000 gezahlt?« Eröffnet Marc gleich zu Beginn den Showdown. Und das kann sich der eigentlich eher gemütliche Kunstfreund nicht bieten lassen. Yvan wiederum, gestresst von den Vorbereitungen zur eigenen Hochzeit, bemüht sogar seinen Psychoanalytiker, um die Streithammel wieder zur Vernunft zu bringen.
Doch noch gemeinsam lachen
Bei der Gelegenheit stürzen sie sich wie Geier auf ihn. Dass Marc und Serge zuletzt doch noch einen Weg finden, um wieder gemeinsam zu lachen ist der Gnade und einem Kunstgriff der Autorin zu verdanken. Im wirklichen Leben, hätte der Konflikt, bei dem die Kunst eigentlich nur als Projektionsfläche dient, vermutlich ganz anders geendet. »Kunst« ist ein eher statisches Stück, das stark von seinen Dialogen lebt. Die drei Schauspieler haben ihnen glaubhaft Charakter eingehaucht.
Unterm Strich
Schöne dramaturgische Ideen und die anregende Spielsituation inmitten einer Kunstausstellung geben dieser Aufführung eines modernen Klassiker den besonderen Reiz.