Monospektakel: Ganz allein im Rampenlicht
von Armin Knauer
REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER, 16.01.2015
REUTLINGEN. Eigentlich ist es doch die Domäne des Theaters, soziale Interaktion auf die Bühne zu bringen. Und doch werden Solo-Auftritte immer populärer. Die Tonne hat daraus ein Festival mit Wettbewerbscharakter gestrickt – dieses »Monospektakel« geht nun schon in die fünfte Runde. Am 22. Januar startet es mit der Österreicherin Chris Pichler in einem Porträt zu Romy Schneider.
Auch die Tonne erlebt den Boom des Solotheaters, wie Intendant Enrico Urbanek versichert: Längst böten Künstler ihre Soloprojekte von sich aus an. »Wir können auswählen«, frohlockt Urbanek.
Was aber macht die Faszination des Alleinauftritts aus? Auch darin steckt soziale Interaktion – die mit dem Publikum, mit sich selbst oder mit fiktiven Partnern. In jedem Fall ist der Zuschauer stärker als sonst gefordert, das Geschehen durch seine Vorstellungskraft zu komplettieren. Darin liegt der Reiz.
Tragik einer Schauspielerin
Das ist es auch, weshalb Solotheater mit einer verblüffenden Vielfalt an Formen aufwartet. Das Monospektakel gibt davon vom 22. Januar bis 1. Februar eine Vorstellung. Es startet mit einer Künstlerbiografie, geht mit Jan Mixsa und Bridge Markland ins Figurentheater, wandelt sich bei Editta Braun zum Tanztheater, wird bei Meyer & Kowski zum erhellenden Doppelschlag und bei Petra Afonin zur tragikomischen Revue.
Chris Pichlers Romy-Schneider-Solo sei ihm von den Ruhrfestspielen empfohlen worden, erzählt Urbanek. Kritiker schwärmten, Pichler würde mit ihrer Figur verschmelzen – samt der Zerrissenheit zwischen Glamour und privater Tragik. Hier gibt es nur noch wenige Karten.
Zum ersten Mal ist ein Kinderstück am Start: Jan Mixsa lässt die Figuren in »Fritz Rasselkopf« aus Kochtöpfen und anderen Utensilien vor den Augen der jungen Zuschauer entstehen – und diese werden aktiv mit einbezogen. Es geht um einen kleinen Jungen, der nach Knatsch mit den Eltern in eine Fantasiewelt flüchtet. Das Stück läuft außer Konkurrenz; dafür tritt Mixsa am selben Abend mit »Es hackt« im Wettbewerb an: Solotheater als Versteigerung und Mixsa als wortgewaltiger Ausverkäufer der DDR und ihrer Produkte. Ein irrer Spaß, wie Urbanek versichert – und ein hintersinniger Blick auf die deutsche Geschichte. Bridge Markland bringt nach »Faust« einen weiteren »Klassiker aus der Box« mit. Diesmal performt sie »Die Räuber«. Zum Playback-Soundtrack, der Schillers Originaltext mit Popsongs mischt, entfaltet Markland die wilde Aufrührer-Story mit Barby- und Ken-Puppen – und mit sich selbst in diversen Rollen.
Auch Solotanz im Rennen
Mit Editta Brauns »Paula« ist diesmal auch ein astreines Tanztheatersolo dabei. In der von Iris Heitzinger getanzten Performance mischen sich Elemente aus den Romanen »Die Wand« von Marlen Haushofer über eine Frau in der Berg-Einsamkeit und Sten Nadolnys »Ein Gott der Frechheit« über Metall als Symbol menschlicher Natur-Unterwerfung.
In »Ben X [DSE]« von Nic Balthazar spricht ein autistischer Junge mit Asperger-Syndrom, der sich vor dem Alltag in eine Computerspielewelt zurückzieht. Die Thematik des Autisten komme in der Form des Monologs besonders konsequent zum Ausdruck, findet Tonne-Dramaturgin Karen Schultze. Die Computerwelt wird mit Videos eingefangen, die Darsteller Jonas Vietzke selber entwickelt hat. Regie führt Karin Drechsel, die dieses Jahr auch das Tonne-Sommertheater »Glaube, Liebe, Hoffnung« von Horváth inszenieren wird.
In »Nirvana sehen« inszeniert Marc von Henning eine ganz eigene Form von Doppelmonolog. Schauspielerin Ute Hannig schlüpft in den zwei Teilen in zwei verschiedenen Räumen in zwei verschiedene Frauen in Extremsituationen: Die erste ist eine Wissenschaftlerin, die einen Schlaganfall erlitten hat und die Auswirkungen nun an sich selbst studiert. Die zweite ist eine Patientin, der nach einem Unfall beide Beine amputiert werden müssen. Darstellerin Ute Hannig hat sie angeblich als Bettnachbarin im Krankenhaus kennengelernt – aber der vorgeblich reale Hintergrund ist bei von Henning stets Teil des Spiels.
Songs zum Pflege-Alltag
Zum Abschluss Petra Afonin mit ihrem musikalischen Solo »Es ist genug« zu dem nicht eben Musikrevue-verdächtigen Thema Alter, Tod und Pflege. Begleitet von Susanne Hinkelbein am Klavier wird bei Afonin auch so ein Thema bei allem Ernst nicht zur Depri-Nummer.
Danach hat noch am selben Abend die siebenköpfige Jury die Wahl. Bewusst sitzen darin keine Theaterprofis, sondern Repräsentanten des normalen Publikums: Mitglieder von Tonne-Verein und integrativem Ensemble, eine GEA-Leserin und andere mehr. Zu gewinnen gibt’s kein Geld, aber die handgefertigte Figur »Tonnella«. Ein rein symbolischer Preis; der Wettbewerb ist eher spielerisch. Und doch schmunzelt Urbanek: »Am Finalsonntag rufen trotzdem alle Theatergruppen an und wollen wissen, wer gewonnen hat«.
»Ben X« ist Festivalsieger
REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER, 03.02.2015
Monospektakel - Jury entscheidet für Autistenporträt
REUTLINGEN. Mit Petra Afonins »Es ist nie genug« ist am Sonntag das Monospektakel-Solofestival der Tonne zu Ende gegangen (Bericht links). Gleich darauf beriet die siebenköpfige Jury – bestehend aus Thomas Armbruster, Monique Cantré, Manuela Fenske, Christiane Haaslach, Kai Luz, Gisela Oechsle und Marc-Etienne Thon – über die Vergabe des Festivalpreises »Tonnella«.
Trotz der sieben sehr unterschiedlichen Stücke fiel die Entscheidung relativ schnell und klar: Sieger wurde Nic Balthazars Porträt eines autistischen Jugendlichen »Ben X«. Die multimediale Umsetzung wie die beeindruckende und berührende Darstellung des autistischen Ben durch den Darsteller Jonas Vietzke waren dabei ausschlaggebende Kriterien.
Der Wechsel von der Opfer- zur Täterrolle, die Darstellung der Bedrohung und Brutalität durch die Außenwelt und die Flucht in die Gegenwelt der Computerspiele, in der Ben sich stark fühlt, beeindruckten die Jury. Sie lobte auch das »geniale Bühnenbild«, das mithilfe von Film-Montagen Wesentliches zeigte. Ein Stück, so die Jury, das besonders auch junge Besucher anspreche und zum Nachdenken über das Für und Wider der Parallelwelten in Internetspielen anregt. Damit geht die diesjährige Tonnella-Trophäe an Jonas Vietzke in Hannover.
»räuber« auf Platz zwei
Auf den zweiten Platz stellte die Jury »räuber in the box« von Bridge Markland, das spritzig und poppig einen Klassiker vergegenwärtigte, wie man ihn nicht unbedingt aus der Schullektüre in Erinnerung habe. Dazu beeindruckten die ausgefeilte Mimik und die raschen Rollenwechsel. Das Stück habe »Lust auf mehr« gemacht und »entzückt«.
Das drittbeste Stück war nach Meinung der Jury das Tanztheater »Paula« der Editta Braun Company. Beeindruckt zeigte sich die Jury davon, wie darin das Gefühl der Zerrissenheit zum Ausdruck gebracht wurde, die Angst, mit sich selbst klarzukommen – und das alles voller Ästhetik, mit viel Artistik und ganz ohne Worte. Letzteres war allerdings auch genau ein Kritikpunkt, da es als Tanztheater eben nicht als Schauspiel zu rechnen sei.
Flucht in eine Gegenwelt
von Otto Paul Burkhardt, 03.02.2015
»Ben X« von Nic Balthazar, ein multimediales Stück über Autismus, ist Sieger des Monospektakel-Festivals. So entschied es die Jury am Sonntagabend.
REUTLINGEN. Mit Petra Afonins »Es ist nie genug« ist das nunmehr fünfte Solo-Festival des Tonne-Theaters zu Ende gegangen (siehe Besprechung rechts). Danach beriet die siebenköpfige Jury, bestehend aus Thomas Armbruster, Monique Cantré, Manuela Fenske, Christiane Haaslach, Kai Luz, Gisela Oechsle und Marc-Etienne Thon. Das Gremium hatte sieben sehr unterschiedliche Stücke zu bewerten. Und dennoch fällte die Jury ihre Entscheidung »relativ schnell und klar«, wie es heißt: Sieger wurde »Ben X« von Nic Balthazar.
Laut Jury sei dafür ausschlaggebend gewesen »die multimediale Umsetzung wie die beeindruckende und berührende Darstellung eines Autisten, die diese besondere Erlebenswelt ganz pur erfahrbar machte und viel Empathie schuf«. Ebenso eindrücklich gewirkt haben »der Wechsel von Opfer- zu Täterrolle, die Darstellung der Bedrohung und Brutalität der Außenwelt und die nur zu verständlich nachvollziehbare Flucht in die Gegenwelt der Computerspiele, in der Ben mehrere Chancen hat, sich stark fühlen kann«. Schließlich lobte die Jury auch das »geniale Bühnenbild«, das »in aller Schlichtheit mithilfe der Filmontagen Wesentliches zeigte«. Insgesamt fand die Jury, dass »Ben X« ein Stück sei, das »besonders auch junge Besucher anspricht, berührt und zum Nachdenken über das Für und Wider der Parallelwelten in Computerspielen anregt«. Die »Tonnella«-Trophäe, sozusagen der Tonne-Oscar, geht somit an Jonas Vietzke. Der 34-jährige Schauspieler ist künstlerischer Co-Leiter des freien Hannoveraner Theaters an der Glocksee und steht unter anderem bei den Freilichtspielen Schwäbisch Hall auf der Bühne.
Auf den zweiten Platz stellte die Jury »räuber in the box« von Bridge Markland, weil dieser Beitrag »spritzig und poppig einen Klassiker vergegenwärtigt« und in raschen Wechseln »Lust auf mehr« mache.
Den dritten Platz bekam das Tanztheater »Paula« der Editta Braun Company zugesprochen. Eindringlich und »nachvollziehbar« dargestellt fand die Jury »das Gefühl der Zerrissenheit« und »die Angst, mit sich selbst klarzukommen«. Ganz ohne Worte zählte dieser Beitrag aber weniger zur Sparte Schauspiel als vielmehr zur Kategorie Tanztheater - was in der Jury als »Kritikpunkt« erwähnt wurde.
RÜCKBLICK: Sieger bisher Die bisherigen Gewinner bei Monospektakel im Überblick:
· 2011 »Mit dem Kopf schlage ich Nägel in den Boden« von Eric Bogosian mit Tom Gerber (Karlsruhe);
· 2012 »Effi Briest« nach Theodor Fontane, Bühnenfassung mit Chrysi Taoussanis (Reutlingen);
· 2013 »Braveheart« mit Bernhard Dechant (Wien);
· 2014 »Das Houdini-Gen« mit Felix Knopp (Hamburg);
· 2015 »Ben X« mit Jonas Vietzke (Hannover).
Bis 2012 gab es auch am Theaterdiscounter Berlin ein Festival der Monologe, das 2007 und 2010 abgehalten wurde. Derzeit ist das Tonne-Monospektakel somit bundesweit einmalig.