Gift im Kelch der Freundschaft
von Christoph B. Ströhle
REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER, 04.04.2022
Oper – Nikolai Rimski-Korsakows »Mozart und Salieri« in Kooperation mit der Philharmonie im Theater Die Tonne
REUTLINGEN. In einem Brief Wolfgang Amadeus Mozarts vom 14. Oktober 1791 an seine Frau Constanze berichtet der Komponist über Antonio Salieris ausgelassene Reaktionen während einer Vorstellung der Mozartschen »Zauberflöte«. Doch hatte Salieri (1750–1825), selbst Tonsetzer undLehrer so berühmterKomponisten wie Ludwig van Beethoven, Franz Schubert oder Franz Liszt, auch eine andere, diabolische Seite?
Nach Mozarts Ableben am 5. Dezember 1791 in Wien machte das Gerücht die Runde, Salieri habe Mozart vergiftet. Alexander Puschkin spann diese Klatschgeschichte 1830 zum Versdrama »Mozart und Salieri« mit tödlich endendem Showdown aus, das Nikolai Rimski-Korsakow in einer 1898 in Moskau uraufgeführten Oper gleichen Namens zum Musiktheater weitete. Ganz abgesehen von weiteren literarischen und filmischen Bearbeitungen dieser Fama etwa durch Peter Shaffer und Miloš Forman (»Amadeus«).
Man muss sich im Klaren sein, dass man Salieri wohl Unrecht tut, wenn man den Mythos – oder die »Fake News« – weiter verbreitet. Doch die Zuspitzung auf eine Rivalität Mozarts und Salieris, die den Tod des heute Berühmteren der beiden zur Folge hat, bleibt aus dramaturgischen Gründen verlockend. Ohne Bösewicht oder Neider funktioniert das Ganze eben nicht.
Aufgekratzt spielendes Orchester
Auf einem Schachbrett lässt Regisseur Enrico Urbanek im Reutlinger Theater Die Tonne die Figuren agieren – wohl auch, um das ausgeprägte Schwarz-Weiß-Denken, das dem Musiktheater zugrundeliegt, sichtbar zu machen. Für die Aufführung von Rimski-Korsakows Oper hat die Tonne die Württembergische Philharmonie Reutlingen als Kooperationspartner gewonnen.
Es ist ein stattliches Orchester, dass da bei der Premiere am Samstagabend im großen Saal der Tonne versammelt ist. Dass die Musikerinnen und Musiker zur Wand hin spielen, scheint allerdings nicht der Weisheit letzter Schluss. Klar ist es sinnvoll, dass der musikalische Leiter Martijn Dendievel (der seine Sache übrigens ausausnehmend gut macht) nicht nur seine Musiker, sondern auch die Solisten im Blick hat (und sie ihn). Doch dass man als Zuschauer nur auf die Rücken der Kontrabassisten blickt, leuchtet nicht wirklich ein und mindert auch ein Stück weit den Musikgenuss.
Das von Rimski-Korsakow recht kurz gehaltene Musikdrama verlängern die Aufführenden, indem sie Leonhard Geiger in der Rolle Antonio Salieris eine längere Ankleide-, Morgentoilette- und Frühgymnastik-Szene gönnen, zu der das Orchester eine Sinfonia Salieris spielt. An einer Stelle sieht man ihn sich den Musikern nähern und hört ihn auf Italienisch dem Maestro zurufen, er möge die Interpretation doch etwas deliziöser anlegen.
Die von Sibylle Schulze gestaltete Bühne sieht neben dem Schachbrett mit großen Spielfiguren auch einen gediegenen, museal wirkenden Wohnraum Salieris vor. Den Diener, der ihm beim Ankleiden hilft und im entscheidenden Moment auch mit dem Gift zur Stelle ist, verkörpert Bahattin Güngör mit stoischer Butler-Gelassenheit.Witzig die Szene, in der er die Zunge herausstreckt, damit sein Herr einen Briefumschlag befeuchten kann.
Mozart, verkörpert von dem Schauspieler David Liske, der auch als Sänger überzeugen kann (Ulrike Härter und Korrepetitor Maciej Szyrner haben gründlich mit ihm gearbeitet), hat die Einladung Salieris gerne angenommen und aus spontaner Begeisterung einen blinden Geiger mitgebracht, den er aus einem Wirtshaus heraus eine seiner, Mozarts, Melodien spielen hörte. Salieri findet das degoutant, der Heiligkeit der Musik nicht im Geringsten angemessen. Er selbst sieht sich als eine Art Priester der Musik. Mozarts Genialität als Komponist steht für ihn in krassem Widerspruch zu seinem den Ernst ihres Berufsstandes verkennenden Verhalten. »Meine Göttlichkeit hat jetzt Hunger«, meint Mozart mit unbefangener Flapsigkeit, die Salieri ein Dorn im Auge ist.
Tragisch, dass Mozart in der Oper ausgerechnet Salieri Anteil am Requiem nehmen lässt, das er im Auftrag eines mysteriösen Unbekannten komponiert. Das Orchester spielt den Anfang daraus. Es ist – und das ist die Tragik Rimski-Korsakows – das ergreifendste Stück des ganzen Abends. Die Musik des russischen Komponisten lehnt sich eng an den freien Arioso-Rezitativstil an, den Alexander Dargomyschski in seiner Vertonung einer anderen »kleinen Tragödie« von Puschkin, »Der steinerne Gast«, anwandte.
Leonhard Geiger ist es, der mit seinem wandlungsfähigen Bariton die größten Gesangsanteile hat, inklusive einer intensiv gestalteten Traum- beziehungsweise Wahnsinnsszene. Das Orchester spielt ausdrucksstark und differenziert, ob nun die Mozart charakterisierenden Original-Passagen aus Werken wie »Don Giovanni« oder »Die Hochzeit des Figaro« oder das klassische Pasticcio, das »Mozart und Salieri« darstellt. An den dramatischen Stellen agiert das Orchester aufgekratzt.
»Requiem aeternam«, röchelt David Liske als Mozart, durch das Gift bereits halb gelähmt auf dem Boden kriechend. Salieri küsst am Ende das Haupt des gemeuchelten Genies. (GEA)
Inspiration und Transpiration
von Achim Stricker
SCHWÄBISCHES TAGBLATT, 04.04.2022
Premiere – Rimski-Korsakows selten aufgeführte Kammeroper »Mozart und Salieri« lockte am Samstag rund 130 Zuschauer in den Tonne-Neubau.
Das Bühnen-Spielfeld zwischen den beiden Zuschauer-Tribünen links und rechts ist ein Schachbrett. Schwarz-weiß wie auch der Konflikt: Antonio Salieris Neid auf Mozart – eine so haltlose wie weitverbreitete und beliebte Legende der romantischen Mozart-Rezeption, die auch das Gerücht in die Welt setzte, Salieri habe Mozart vergiftet. Hier das Genie, der Götterliebling, das einstige Wunderkind mit dem heiteren Unernst des Hochbegabten, dem alles zufliegt. Dort der routinierte Handwerker und mühevolle Musik-Arbeiter (»Algebra schafft Harmonie!«), der alles erringen muss und am Ende doch keine große, ewige Kunst zustande bringt. Frei nach Strawinsky: Transpiration statt Inspiration.
Konträr sind in Enrico Urbaneks Inszenierung auch die beiden Protagonisten angelegt: Salieri ernst und streng, in strassglänzendem Schwarz (Kostüme und Bühne: Sibylle Schulze). Der Konzert-Bariton Leonhard Geiger singt diese größere der beiden Partien mit souveränem Opern-Stimmvolumen, warm und nobel, mit charismatischer Bühnenpräsenz. Jedes Wort der deutschen Textfassung ist gut verstehbar und psychologisch genau nuanciert (musikalische Einstudierung: Ulrike Härter).
Tonne-Ensembleschauspieler David Liske gibt Mozart als über allem stehendes, subversives Genie-Wesen jenseits der Konventionen. Ganz in Weiß, mit Turnschuhen und flatternden Hosen, gern auch mal mit rosa Muff oder Federboa. Ein Genuss-Mensch mit Sinn für derbe Späße, fähig auch zur Selbstironie, sich wegwerfend vor Lachen, wenn seine »Figaro«-Arie »Voi che sapete« von einem Bettler kratzfiedelnd verhunzt wird. Nonchalant trällernd, leicht und unbekümmert – zugleich aber legt Liske mit ausgebildeter Tenor-Stimme einen lyrischen Hauch Melancholie über den rastlosen Klamauk.
Weil Nikolai Rimski-Korsakows Einakter von 1898 nur 40 Minuten kurz ist, spielt das 20-köpfige Kammerorchester aus den Reihen der Württembergischen Philharmonie unter dem belgischen Gastdirigenten Martijn Dendievel vorneweg ein kleines Potpourri: Salieris Sinfonia »La Veneziana«, die Ouvertüren zu Mozarts »Don Giovanni« und »Figaros Hochzeit« (»Na, wer hat’s komponiert?«, fragt Liskes Mozart dabei herausfordernd kokett ins Publikum). Währenddessen macht Salieri seine Morgen-Toilette und gurgelt fröhlich zum Orchester-D-Dur. Der humoreske Vorlauf bietet noch die meisten Bühnenaktionen: Am lebendigsten die hinzugefügte stumme Rolle von Salieris Diener (stilecht und eine Zierde für jedes Grand Hotel: Bahattin Güngör), der seinen Herrn ankleidet, das Frühstück inklusive Mozart-Kugeln serviert und beim Kuvertieren der täglichen Korrespondenz die Briefe ablecken muss.
Sobald dann Rimski-Korsakows Kammeroper einsetzt, wird die Handlung recht statisch, die Figuren bleiben blass, Stellvertreter für zwei gegeneinandergestellte abstrakte Prinzipien. Selbst die Schachfiguren bleiben fast alle auf der Stelle stehen. Denn es gibt hier eigentlich keinen Zweikampf und auch kaum eine äußere Handlung. Puschkins Vorlage – eine kurze Dramenskizze von 1830 – fokussiert sich auf Salieris innere Konflikte. Ein Seelen-Drama, für das die Mozart-Figur Projektionsfläche und Stichwortgeber ist. Und eigentlich geht es auch weniger um Neid oder Rivalität, sondern um den Wert der Kunst, die Divergenz zwischen Künstler und Werk, die Rettung der heiligen, ewigen Kunst: »Du bist nicht würdig deiner selbst!«, empört sich Salieri über Mozart, der seine Genialität missbrauche, die Kunst verrate, wenn etwa sein »Don Giovanni« zwischen tragischer Opera seria und komödiantischer Opera buffa hin und her kippt und Mozart sich selbst dabei augenzwinkernd parodiert.
Zu dem Figuren-Ungleichgewicht der Puschkin-Vorlage kommt die rückwärtsgewandt historistische Patina dieser Opernvertonung. Während Rimski-Korsakow in seinen sonstigen späten Opern eine zukunftsweisend moderne Klangsprache erfand, an die sein Schüler Strawinsky direkt anknüpfte, spielt er hier mit Mozart-Zitaten und neoklassizistischen Stilimitationen. Auch die Gesangspartien nehmen in Rimski-Korsakows Opernschaffen eine Sonderstellung ein. Ariose Höhepunkte gibt es hier nicht. Die Kammeroper ist in melodischen Rezitativen durchkomponiert, die auf die Dauer etwas eindimensional wirken. Die Schwächen der Musik fallen dann besonders auf, wenn Rimski-Korsakow aus »Don Giovanni« oder den Beginn des Mozart-Requiems zitiert. Einer der stärksten Momente, wenn der vergiftete Mozart sagt: »Das ist mein Requiem!« Das buchstäblich zu seiner eigenen Sterbemusik wird.
Unterm Strich
Rimski-Korsakows Puschkin-Vertonung hat ihre dramaturgischen Schwächen, die auch Urbaneks einstündige Inszenierung nicht aufwiegt. Umso mehr überzeugt die sängerisch-musikalische Seite. Eine schöne Kooperation zwischen der Tonne und der Württembergischen Philharmonie, der man noch manche Fortsetzung wünscht.
Schachbrett und Krankenbett
von Susanne Eckstein
REUTLINGER NACHRICHTEN, 05.04.2022
Kultur – Premiere in der Tonne mit der Kammeroper »Mozart und Salieri«.
Reutlingen. Warum in aller Welt wird das längst widerlegte Giftmord-Gerücht stets neu aufgewärmt? Der arme Herr Salieri! Zu Lebzeiten als Musiker und Lehrer geachtet, später als Mörder verleumdet. Vermutlich hat der Beethoven-Biograf Schindler das Gerücht aufgebracht. Kolportiert wurde es im Namen der Kunst, genauer: des Geniekults, der einzelne Künstler als gottbegnadet heraushob und damit Stoff bot für Dichtung, Schauspiel, Oper und Film.
Nun hat sich das Theater Reutlingen »Die Tonne« in Kooperation mit der Württembergischen Philharmonie Reutlingen der Kammeroper »Mozart und Salieri« von Nikolai Rimski-Korsakow (1897) angenommen; am Samstagabend war Premiere. Die musikalische Leitung hatte Martijn Dendievel, Regie führte Enrico Urbanek; gefördert wurde das Projekt durch den Deutschen Musikrat und das »Forum Dirigieren«.
Eine Oper ist das nicht, sondern ein vierzigminütiges Rezitativ nach Puschkins Text – ohne Arien, ohne Action, eine Herausforderung für den Sänger Leonhard Geiger (Bariton, Salieri) und den Schauspieler David Liske (Tenor, Mozart); Ulrike Härter hat bei der Einstudierung ganze Arbeit geleistet. Um dieses Rezitativ zu erweitern, haben die Verantwortlichen einen Vorspann aus Werken von Salieri und Mozart vor Rimski-Korsakows Partitur gelegt, zu dem sich die beiden Gegenspieler auf dem großen Schachbrett vorstellen: erst Salieri in Schwarz als statusbewusster Kulturbürger mit Diener (Bahattin Güngör) zu den Klängen seiner klassischen »Sinfonia Veneziana«, Mozart in Weiß und Rosé als kindlicher Springinsfeld wie in Formans »Amadeus«; er stellt Quizfragen zu seiner Musik und verteilt Mozartkugeln. Allerdings erfuhr das Publikum nichts über diese Montage und stand ihr etwas ratlos gegenüber. Dabei musizierte die kleine Besetzung der WPR plastisch und einfühlsam mit dem Rücken zum Saal, Dirigent Dendievel hielt frontal Kontakt zu den Sängern.
Der alte, ins Deutsche übertragene Text wurde mit neuen Ideen szenisch aufgepeppt und am Ende beinahe aufgebrochen. Auch darüber stand nichts im Programm, dort sind nur die alten Genie-Märchen sowie ein wenig Biografisches abgedruckt. Zuschauer bzw. Zuhörer mussten sich selbst einen Reim auf das erneuerte alte Spiel machen. Da umklammert etwa Salieri den Schach König und singt »Missgunst erfüllt mich!« zum Hymnen-Zitat der Partitur, ein Klinikbett mit Infusionsbeuteln und Schläuchen nimmt den todgeweihten Mozart auf. Eine anrührende Wendung überrascht gegen Ende: Der schon vergiftete Mozart bewegt seinen Mörder, sich an seiner Stelle aufs Krankenbett zu legen, während er selbst sich zwischen den Schachfiguren zu Requiem-Takten windet, die – von Rimski-Korsakow so intendiert – wie quälende Todesmusik wirken, während sie längst anders gedeutet werden. Zum Schluss gehen die Gegenspieler gemäß dem romantischen Mythos tragisch zugrunde: Mozart auf Salieris Thronsessel, Salieri mit der Königsfigur am Boden. »Addio!«
Die Mitwirkenden hatten sich den anhaltenden Applaus des Publikums in der Tonne redlich verdient. Doch der Grundansatz bleibt ambivalent: Mit dem Originaltext lässt sich die falsche Legende weder neu erzählen, noch aufbrechen. Was bleibt, ist ein Spagat zwischen Komposition und szenischer Erweiterung mit überaus anregenden Überraschungen.