Die tragische Geschichte vom Dr. Faustus || Sommertheater
von Christopher Marlowe
In dieser Spielzeit geht die traditionelle Sommertheater-Reise nach England: Wir schreiben das Jahr 1592. Der noch nicht einmal dreißigjährige Christopher Marlowe verfasst seine Tragische Historie des Doctor Faustus. Ein Jahr später wird der junge Theaterstar mit seinem eigenen Dolch in einer Spelunke in der Grafschaft Kent erstochen.
Marlowe (1564 –1593) war Student in Cambridge, Soldat in den Niederlanden und angeblich auch Spion der englischen Krone, bevor er zum Publikumsliebling der Londoner avancierte. Sein Kollege Shakespeare, im selben Jahr wie Marlowe geboren, war zu diesem Zeitpunkt noch mehr oder minder unbekannt. Bis heute gibt es viele Stimmen, die behaupten, dass nur der frühe Tod des begabteren Marlowe seinem Theaterkollegen eine die Jahrhunderte überdauernde Bedeutung für Literatur und Theater ermöglicht hätte. Um so bedauerlicher ist es, dass das Werk Christopher Marlowes nicht im Ansatz so bekannt ist, wie das seines Stratforder Zeitgenossen.
Marlowes Faust diente Goethe als Vorlage für seinen Zweiteiler. Die Dichtung des Engländers ist allerdings wesentlich rauer, direkter und volkstümlicher. Sein Doktor ist ein junger, emotionsgeladener Mann, der in nichts die abgeklärte Altmännerhaltung besitzt, die Goethe seinem Titelhelden in den Mund und ins Hirn pflanzte.
So beschleicht einen bei der Beschäftigung mit dem über 400 Jahre alten Stoff auch häufig das Gefühl, Marlowe hätte sich mit seinem Titelhelden selbst ein Denkmal gesetzt. An vielen Stellen meint man gar, dem schwulen, dreißigjährigen Machiavellisten in irgendeiner Londoner Kneipe bei ketzerischen Reden zuzuhören.
Der Reutlinger Spitalhof ist wie geschaffen dafür, um mit Marlowe und Faust und einer Handvoll Schauspielern auf Entdeckungsreise zu gehen – durch Himmel und Hölle und durch Wirtshäuser und Wälder. Die Renaissancekulisse ist bestens geeignet, um vor ihr Päpste und Kaiser auferstehen und die Schauspieler in einem bunten Jahrmarktspektakel durch diverse Rollen springen zu lassen. Und so wie es im elisabethanischen Theater üblich war, werden wir uns auch nicht scheuen, aktuelle Bezüge zum Hier und Jetzt in die uralte Geschichte einzuflechten.
In seiner un-moralischen Direktheit wird das Sommertheater 2005 den Kampf zwischen den Gewalten, zwischen Lebenshunger und Todesfurcht offenbaren und ein Gefühl vermitteln, wie das Theater am Beginn der (vielleicht langsam zu ende gehenden?!) Neuzeit ausgesehen haben mag.
Regie/Bühne/Kostüme: Marcus Lachmann
Raum-Klang-Installation: Bernd Wegener
Mit: Sabine Hollweck, Christian Meier, Gianni Meurer, Christiane Schoon und Ulrike Volkers
Premiere am 9. Juni 2005