Internationales Tanztheater XXII
Choreografien von Maura Morales, Yaron Shamir und Kenji Shinohe
Eine bunte Palette neuer Tanztheaterproduktionen unterschiedlich arbeitender Choreograf*innen aus der ganzen Welt wurde für dieses Festival eigens zusammengestellt und in dieser Kombination einmalig nach Reutlingen eingeladen: U.a. stellt der dem Tonne-Publikum gut bekannte Yaron Shamir den dritten Teil seiner »Holy Cows«-Trilogie vor, deren zweiter in der letzten Spielzeit an der Tonne uraufgeführt wurde – diesmal als Duo. Dann gibt es eine neue Choreografie von Maura Morales, die ebenfalls schon häufiger mit ihren besonderen Choreografien auch das Reutlinger Publikum begeistert hat, in diesem Fall ein neues Stück für 5 Tänzerinnen und einen Live-Musiker: »Phobos«, über Angst aus einer femininen Perspektive heraus betrachtet. Das Kulturmagazin O-Ton spricht von einem »Meisterwerk, mit dessen aufregender Bewegungssprache Maura Morales den Menschen an die Seele gefasst« habe.
Zusätzlich bietet der Choreograf Yaron Shamir einen Workshop zum Selbertanzen an, in dem Schüler_ innen mit Tanzerfahrung und Lehrer_innen mit dem Profi arbeiten, neue Formen kennenlernen und neue Impulse für die eigene Arbeit gewinnen können.
Programm
Phobos
»Ich wollte ein Stück über Angst machen und herausgekommen ist ein Stück über Mut.« Maura Morales
Angst erlebt gerade ihre gesellschaftliche Renaissance auf allen Ebenen unseres Alltags. Ob die Angst der Mittelschicht vor dem sozialen Abstieg, die Angst vor dem Alter in einer unbestimmbaren und unzuverlässig gewordenen Zukunft, die populistischen Strategien rechtskonservativer Parteien oder der Weg von der Party abends alleine nach Hause. Die Angst, die zu den stärksten und existenziell bedrohlichsten Empfindungen zählt, die wir erfahren können, trifft den Einzelnen mit voller Wucht in seiner jeweiligen Lebenswelt. Die objektiven Ursachen geraten dabei häufig außer Acht, denn Angst sorgt für subjektive Verzerrungen, da sie den Einzelnen verunsichert und schwächt. Sie ist ein schlechter Ratgeber. Die #MeToo-Bewegung ist ein aktuelles Beispiel für das kollektive und solidarische Thematisieren von Angst und den Versuch ihrer gesellschaftlichen Überwindung. Phobos will darauf aufmerksam machen, dass der Diskurs noch nicht weit genug geht: das Problem bleibt, solange sich gesellschaftliche Strukturen nicht ändern und Gleichberechtigung nicht selbstverständlich ist, solange wir nicht alle gemeinsam Verantwortung dafür übernehmen, dass sich Gewalt und Benachteiligung nicht systematisch einschreiben können.
Konzept/Regie/Choreographie: Maura Morales
Komposition/Livemusik: Michio Woirgardt
Lichtdesign/Technische Leitung: Grace Morales
Bühnenbild: Grace Morales, Frank Schuhmann
Kostüm: Marion Strehlow
Dramaturgie: Sebastian Brohn
Choreographische Assistenz: Victoria Perez Miranda
Tanz: Anila Mazhari, Kalin Morrow, Paula Serrano, Latisha Sparks, Elena Valls
Dauer: ca. 60 min
Eine Produktion der Cooperativa Maura Morales in Koproduktion mit Forum Freies Theater- FFT/ Düsseldorf, Ringlokschuppen/Ruhr, Pumpenhaus/Münster, LOT-Theater/Braunschweig Gefördert durch den Fonds Darstellende Künste, das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, sowie durch das Kulturamt der Landeshauptstadt Düsseldorf
- danach Pause -
Holy Cows
Yaron Shamir, der sich 1998 entschied, seine Tätigkeit als Offizier im israelischen Militärdienst aufzugeben, nach Berlin zu ziehen und Tänzer und Choreograph zu werden, thematisiert in seiner Trilogie »Holy Cows« eigene Erfahrungen der Grenzüberschreitung und des Neuanfangs auf komplett neuem Terrain. Als zentrales Symbol dafür wählt er die Heilige Kuh: Sie steht für alles, was einem Menschen wichtig und heilig ist. Diese Werte werden durch die Begegnung mit den anderen Wertvorstellungen erschüttert und irritieren wiederum deren Vertreter. Sobald das eigene Territorium in Gefahr gewähnt wird, formen sich Aggressionen und Ängste. Eine 3-teilige Choreographie des Abgrenzens, Durchbrechens, Befragens, der Anziehung, Abschottung, Abstoßung und des Grenzüberschreitens.
Holy Cows, part 3: »Shifting«
Je länger der Aufenthalt im nicht mehr ganz so Neuen dauert, desto gewohnter wird die Umgebung, der harte Kampf um die neue Heimat ist vorbei. Dennoch mehren sich Zweifel und ambivalente Gefühle. Ist das wirklich der beste Ort für mich? Soll ich wirklich hier bleiben, noch tiefere Wurzeln schlagen oder mich doch weiterorientieren oder sogar zurückkehren? Diese wechselnden Gefühle und Zustände symbolisieren die beiden Tanzenden.
Choreographie/Konzept: Yaron Shamir
Musik: Sandrow M
Projektmanagerin: Annette Plaz
Kostüme: Sara Wendt
Kuhdesign: Hans Kellett
Tanz: Nora Vladiguerov, Tobias Weikamp
Dauer: ca. 20 min
K(-A-)O
Thema des Stücks ist die Verwandlung von Gefühlen in Symbole. In der Informationsgesellschaft scheinen die menschlichen Ausdrucksmöglichkeiten für Gefühle zunehmend zu verarmen. Im Internet können wir während einer Kommunikation völlig neutrale Gesichter haben, selbst wenn wir uns freuen oder traurig sind. Oder wir spiegeln sogar eine Emotion vor, die wir in diesem Moment aber gar nicht fühlen. Andererseits versenden wir Emoticons und Symbole, die unsere Stimmungen und Gefühle zeigen sollen, sie aber in starre Bilder fassen. Und indem wir das tun, nehmen unsere unendlichen Möglichkeiten, unsere Gefühle auszudrücken wie die Gefühle selbst, ständig weiter ab. K(-A-)O wirft die Frage auf wie wir wieder zurück zu unseren richtigen Gefühlen finden können.
Choreographie/Tanz: Kenji Shinohe
Dauer: ca. 15 min
… gut, dass die Tonne auch immer wieder mal die Fühler zum Tanztheater ausstreckt auf der Höhe der Zeit und der Bühne. – GEA, 12.10.15
Das Publikum bedankte sich für den abwechslungsreichen und künstlerisch anspruchsvollen Abend bei allen Künst lern mit tosendem Applaus. − SCHWABISCHES TAGBLATT 13.10.15