Prinzessinnendramen I–III
von Elfriede Jelinek
Drei Prinzessinnen, bekannt aus Märchen und Medien, melden sich zu Wort: Schneewittchen irrt als Wahrheitssucherin durch den Wald, bis sie auf einen Jäger trifft und sich bald wünscht, sie hätte ihn vor lauter Bäumen nie gesehen. Dornröschen wird von Mr. Right, dem Prinzen, wachgeküsst. Doch sie ist dabei gar nicht um ihre Zustimmung gefragt worden. Und Rosamunde ist eine Prinzessin in der Einöde, die sich in Grandiositätsphantasien ergeht und dann doch irgendwie mit dem Leben davonkommt. Mit harten, sarkastischen Worten zeichnet Elfriede Jelinek das Bild der ewig unterlegenen Frau, die keine eigene Identität und Seele hat: »Sie konstituiert sich nur in der Spiegelung durch den Mann und die Bilder, denn nur ihr Aussehen und ihre Jugend können ihr Wert verleihen, nicht das Denken,« schreibt Elfriede Jelinek über ihre Protagonistinnen.
Mit Schneewittchen, Dornröschen und Rosamunde treten drei Prinzessinnen auf die Bühne, die erkunden, wie sich ihre romantischen Utopien in unserer Gegenwart fortleben lassen. In Jelineks Text haben sie ihre Geschichten und Hoffnungen bereits hinter sich, aber noch keinen Ersatz für ihre einstigen Illusionen gefunden. Dass das Machtspiel der Geschlechter für die Frauen stets schon vor dem Anpfiff verloren ist, darüber lässt Elfriede Jelinek nicht den geringsten Zweifel. Mit scharfem Blick geht Elfriede Jelinek der Frage nach, was von diesen Frauen übrig bleibt, nachdem ihre Mythen entzaubert sind. Und in der Dekonstruktion des überkommenen Mythos schreibt sie die Unmöglichkeit der Wahrheitsfindung in der Postmoderne bis zur Unerträglichkeit fort.
Elfriede Jelinek wurde am 20. Oktober 1946 in Mürzzuschlag, Steiermark (Österreich) geboren. Ihr Vater war tschechisch-jüdischer Herkunft und überlebte den Holocaust als Chemiker mit kriegswichtigen Forschungsaufgaben. Die Mutter stammte aus einer wohlhabenden Familie in Wien, wo Elfriede Jelinek aufwuchs und zur Schule ging. Sie erhielt frühzeitig Musikunterricht (Klavier, Orgel, Blockflöte) und studierte am Wiener Konservatorium auch Kompositionslehre. Nach ihrer Matura am Albertsgymnasium im Jahre 1964 studierte sie Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Wien, während sie gleichzeitig Musikstudien fortsetzte. 1971 legte sie ihr Examen als Organistin am Konservatorium ab.
Schon früh begann Elfriede Jelinek, Lyrik zu schreiben. Sie debütierte 1967 mit der Gedichtsammlung Lisas Schatten. Nachdem sie mit der Studentenbewegung in Verbindung gekommen war, schlug ihr Schreiben eine gesellschaftskritische Richtung ein. 1970 entstand der satirische Roman wir sind lockvögel baby!. Er trägt ähnlich wie der folgende Roman Michael. Ein Jugendbuch für die Infantilgesellschaft (1972) den Charakter einer sprachlichen Widerstandshandlung, die gegen die Unterhaltungskultur und ihre verlogenen Vorstellungen von einem guten Leben gerichtet ist.
Nach einigen Jahren in Berlin und Rom Anfang der frühen Siebziger heiratete Jelinek 1974 Gottfried Hüngsberg und lebte danach abwechselnd in Wien und München. Das deutschsprachige literarisch interessierte Publikum eroberte sie mit den Romanen Die Liebhaberinnen (1974), Die Ausgesperrten (1980) und mit dem vor autobiographischem Hintergrund verfassten Roman Die Klavierspielerin (1983), der 2001 von Michael Haneke zu einem international sehr beachteten Film umgestaltet wurde. Diese Romane stellen im Rahmen ihrer Problematik jeder für sich eine Welt ohne Gnade dar, in der der Leser mit einer festgefahrenen Ordnung von Gewalt und Unterwerfung, Jäger und Beute konfrontiert wird.
Jelinek zeigt, wie die Klischees der Unterhaltungsindustrie ihren Einzug in das Bewusstsein der Menschen halten und ihren Widerstand gegen klassenbedingte Ungerechtigkeit und geschlechtliche Unterdrückung lähmen. In Lust (1989) überführt Jelinek ihre Gesellschaftsanalyse in grundlegende Zivilisationskritik, wenn sie die sexuelle Gewalt gegen Frauen als Grundmuster unserer Kultur beschreibt. Diese Linie findet in einem scheinbar aufgelockerten Ton in Gier. Ein Unterhaltungsroman (2000), einer Studie über kaltblütige männliche Machtausübung, ihre Fortsetzung. Jelinek hat mit leidenschaftlicher Wut Österreich gegeißelt, das sie in dem phantasmagorischen Roman Die Kinder der Toten (1995) als Totenreich darstellt. In ihrer Heimat ist sie sehr kontrovers diskutiert. Zu den Voraussetzungen ihres schriftstellerischen Schaffens gehört eine lange österreichische Tradition sprachlich weit fortgeschrittener Gesellschaftskritik mit Vorgängern wie Johann Nepomuk Nestroy, Karl Kraus, Ödön von Horváth, Elias Canetti, Thomas Bernhard und der Wiener Gruppe.
Am 10. Dezember 2004 wurde der österreichischen Schriftstellerin Elfriede Jelinek in Stockholm der Nobelpreis verliehen. Das Theater Reutlingen Die Tonne nimmt diese hohe literarische Auszeichnung zum Anlass, dem Reutlinger Publikum diese ebenso streitbare wie umstrittene Künstlerin vorzustellen.
Regie: André Bastian
Bühne/Kostüme: Tijen Berber
Mit: Sabine Hollweck und Daniel Brockhaus
Premiere am 14. April 2005