Tonne RT – Zum Geburtstag

von Martin Bernklau

CUL-TU-RE.DE, 17.1.2025

 

Der Nachwuchs bringt das fantastische Theaterprojekt »Wir regeln das schon!« auf die Bühne 2 der Reutlinger Tonne.

 

REUTLINGEN. Ein Fest steht an. Es geht um den 16. Geburtstag, die Party, die Geschenke. Aber »Wir regeln das schon!«, das Theaterprojekt von Jana Riedel, Tonne-Musiker Michael Schneider und Alice Feucht in Kooperation mit »Medien und mehr« sowie »pro juventa« entfaltet und beleuchtet alle denkbaren Facetten der Persönlichkeit einer jungen Frau: Und wenn ja, wie viele? Am Donnerstagabend war in der Tonne 2 die gefeierte Premiere des Experimentalstücks.

 

Die Bühne ist eine große, zunächst ganz leere Tafel, mit Türen und Fenstern und zwei Treppen rechts und links hinauf zur Galerie. Davor und darauf tummeln sich 14 Mimen, fast ausschließlich junge Frauen in bunt sportiven, schillernden, wallenden Kostümen (Schneiderei: Kathrin Röhm). Sie tanzen (Choreografie: Mia Cabraja), toben, raufen, singen, sprechen, schreiben, malen, zeichnen mit Kreide, schreien sich an oder schreiten elegant die Stufen herab, musizieren. Ein paar Trommeln, wie weiße Torten, dienen als Tisch oder Sitz oder schlicht als Symbol. Viel Konfetti.

 

Dazu ein junger Mann im Glitzer-Jackett mit Zylinder, der ein Märchenprinz, der Ex, ein Zirkusdirektor, Zauberer, Zampano, Dompteur, das Objekt aller Träume und Begierden sein könnte, ein weißer Ritter, der Retter oder eben »der Regulator«, das Gewissen, das Über-Ich. Denn es gilt nicht nur, das Fest und die Party zu planen, sondern das ganze Leben zu regeln zwischen Elternhaus und Schule, Clique und Kneipe, Tag und Nacht, zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Hoffen, Bangen und Fürchten.

 

Was zieht man an? Wo wird gefeiert? Welches Geschenk passt? In seiner ersten Gestalt darf das Geburtstagskind ein Geschenk entpacken, ein Schachtelsortiment nach Art einer russischen Matrjoschka. Am Schluss ist ein winziger Schmetterling darin, ein Nachtfalter, dem die Beschenkte durch ein Fenster die Freiheit ins Dunkel hinaus schenkt. Tiere spielen überhaupt eine wichtige Rolle: Quallen und Kaulquappen, am Ende der Pinguin, der den Bauch dick macht. Es regnet Stofftiere.

 

Die vom Ex als Geschenk ausgerichtete Party in der düsteren Kneipe ist öde: eine Playlist mit stundenlangem Indie-Rock, der nur ihm gefällt, kein Tanz, kein Gespräch, kein Flirt, nichts Zartes. Nur ein Tischkicker für die ganzen Kumpels und Bier bis zum Abwinken. So war das nicht gedacht, geträumt, erwünscht, ersehnt. Dieser jungen Frau in 14 Gestalten geht es um Identität, und Unsicherheiten (beim Referat über die biologisch unsterbliche Qualle, den Total Reset zum Einzeller), um Abhängigkeiten, Selbstzweifel und Selbstoptimierung, sogar um Selbstekel – etwa wegen der unappetitlichen Grausamkeit mit den gefangen im Glas verendeten Kaulquappen: voll gegen die Wand geknallt.

 

Es sind szenisch versinnlichte Selbstreflexionen, meist als stimmstark rezitierte Texte, manchmal auch in Lyrismen wie Kurt Tucholskys »Zärtlich bist du nicht« oder als Lieder wie Edith Piafs trotziges »Non, je ne regrette rien«. Das Ganze hat überhaupt Poesie und sinnliche Bildkraft, die zuweilen sogar hart an Grenzen geht. War es der Süßkram, oder was hat den Bauch so dick gemacht? Der Pinguin, den die Gynäkologin, die aussieht wie die Oma, identifiziert und den die Mutter kurzerhand brutal herausreißt

 

Der Märchenprinz, der Regulator, bekommt schließlich den Kopf in die Sahnetorte gestopft, Slapstick at its best. Auch zu selbstironischer Verfremdung ist diese Inszenierung fähig. Die Publikumsansprache ist mehr als Brecht’scher V-Effekt: »Ist jemand da, der nicht zu jemandem auf der Bühne gehört?« Die Tafel wird immer voller, mit Wörtern, mit gezeichneten Bildern, mit Symbolen und Post-its. Am Ende wüten die Sprühdosen von Protest und Aufbegehren, mit der Gewalt von groben und vulgären Grafitti.

 

Ein wunderbares, sehr konzentriertes Stück Theater (eine runde Stunde lang nur), das von den Rängen herab zu Recht so lange gefeiert wurde.

 

 

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